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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman
Autoren: Jakob Ejersbob
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BAYER heißt. Wir Kinder langweilen uns, denn Seronera besteht nur aus einer kleinen Ansammlung von Gebäuden, die vom Serengeti Nationalpark umringt werden.
    »Was wollen wir machen?«, fragt Gerhard.
    »Wir können Fußball spielen«, schlage ich vor.
    »Na ja, aber wir sind nicht genug für zwei Mannschaften«, sagt er. Ein englischer Junge hat einen Vorschlag:
    »Wir gehen einfach rüber ins Dorf, da sind jede Menge Kinder.« Er meint das Dorf, in dem die Parkwächter mit ihren Familien wohnen. Aber zuerst muss man über ein Stück Grasland.
    »Das dürfen wir nicht, es ist gefährlich«, sagt Gerhard.
    »Ich habe keine Angst vor den Tieren«, erklärt der Engländer. »Eher machen sich die Tiere Sorgen, wenn sie so viele auf zwei Beinen sehen.«
    »Was sagst du, Marcus?«, fragt Gerhard.
    »Ich bin die Tiere gewohnt«, sage ich. Sieben Kinder gehen los, waafrika , deutscher mzungu , englischer mzungu , wir fragen die Erwachsenen nicht, wir beeilen uns. Dann bebt die Erde – es ist das dumpfe Donnern von Hufen. Gerhard ist neben mir.
    »Nashorn!«, schreit er. Das Vieh ist in voller Fahrt. Wir rennen in alle Richtungen, Gerhard auf die eine Seite, ich auf die andere. Bei einem Nashorn soll man stehen bleiben, das wissen wir. Ein Nashorn hat schlechte Augen, es kann nur Bewegungen sehen. Wenn wir still stehen, können wir zu einem Baum werden. Wenn es auf mich zustürmt, werde ich im letzten Moment springen, kurz vor dem glühenden Horn. Das Nashorn wird weiterlaufen und nicht verstehen, wieso die Bahn frei ist. Wenn ich zu früh springe, kann es noch die Richtung ändern. Aber kannst du still stehen bleiben, wenn die Erde bebt und du ins Angesicht des Todes starrst? Wir verteilen uns, das Nashorn schwenkt mit gesenktem Kopf um; es ist Gerhard – aufgespießt. Das Biest wirft ihn in die Luft, er fliegt und landet wie ein Sack Reis auf der Erde. Das Nashorn trottet davon. Wir laufen zu Gerhard, ein großes Loch ist in seinem Bauch, blutig, mit weißen Dingen, die herausquellen – vielleicht von dem Hühnchen, das er heute in der Schachtel bekam, als er so tat, als hätte er Hunger.
    »Tragt ihn zurück, ich hole Hilfe!«, ruft der Engländer und rennt durch das Gras davon. Zusammen mit den anderen waafrika trage ich Gerhard zurück, er ist jetzt noch weißer geworden.
    »Marcus«, sagt er. »Du musst mich hier sterben lassen.«
    »Nur ruhig … das ist nur ein kleines Loch«, sage ich. Aber das Loch ist groß.
    Die Erwachsenen kommen mit dem Land Rover, aber das Auto macht es auf der löchrigen Piste noch schlimmer, Gerhard wird ohnmächtig. Glücklicherweise gibt es ein Touristenflugzeug, ein kleines. Sie tragen ihn hinein, es hebt ab. In der Luft über Arusha ist er tot. Wer bekommt nun Gerhards besondere Schuhe mit Stollen, um Fußball zu spielen? Ich. Gerhards Vater und Mutter wollen Besuch, sie haben zwei kleine Mädchen, doch ich kann die Rolle des Jungen spielen, obwohl der tot in der Erde liegt.
    Schon bald trage ich Gerhards Sachen, und mein Vater wird wütend. Er meint, ich lasse meine eigene Familie im Stich, um für immer bei den Weißen zu wohnen. Mein Vater schlägt mich so hart, dass ich sicherheitshalber zu Gerhards Mutter laufe und adoptiert werde, in ein weißes Leben in der Familie meines toten Freundes.
    Gerhards Eltern sind merkwürdig, finde ich. Alle Früchte müssen mit Sulfonamid abgebürstet werden, und alles Gemüse muss in Chlorwasser gespült werden, das ekelhaft stinkt, sonst ist es zu gefährlich für den weißen Magen. Die Frau trinkt den ganzen Tag Kaffee und liest Bücher. Sie hat waafrika für alles: zum Wäschewaschen, Saubermachen, Essenkochen. Aber sie bezahlt einen viel zu hohen Lohn und merkt nicht, dass sie Zucker und Mehl stehlen. Abends sitzt die weiße Frau auf dem Sofa und trinkt Alkohol und raucht Zigaretten wie der Mann, und manchmal spricht sie hässlich mit dem Mann, aber er schlägt sie nie, soweit ich sehe. Er verzieht höchstens das Gesicht wie ein gereizter Affe. Manchmal küsst der Mann sie direkt vor mir – was kommt als Nächstes?
    Dann fahren die Deutschen in einen anderen Nationalpark, um die Hyänen zu studieren. Sie zählen gern Tiere. Ich fahre im Auto mit, wie ein Stück Gepäck. Sie sind gut zu mir. Ich bekomme gutes Essen, freue mich, fahre Fahrrad. Es überschwemmt mein Gehirn, ich komme vorwärts im Leben.
    Sie sind glücklich, Hauptsache, ich spiele mit ihren Kindern. Ich lerne sogar Auto fahren, damit ich im Nationalpark am Steuer sitzen kann,
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