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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman
Autoren: Jakob Ejersbob
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verschwenden. Nehme eine kenianische Zeitung vom Tisch. »Stammeskrieg in Europa« lautet eine der Überschriften auf den Auslandsseiten. Jugoslawien steht in Flammen – Vergewaltigungen, ethnische Säuberungen, Flüchtlingsströme –, die kenianischen Journalisten haben sich sicher amüsiert, als sie die Überschrift formulierten. Endlich konnten sie die Schaufel unter uns ansetzen – wir sind alle: Barbaren.
    Ich würde gern in die Abflughalle kommen, aber bis zum Check-in des Flugs, für den ich ein Ticket habe, dauert es noch mehr als einen ganzen Tag. Aber die KLM öffnet einen Check-in-Schalter für eine frühere Maschine, die über Athen nach Amsterdam fliegt.
    »Können Sie mich nicht reinlassen?« Ich halte meine abgewetzte Diadora-Tasche hoch; alles, was ich besitze. »Ich hab nur diese Tasche dabei, nur Handgepäck.« Die blasse Holländerin schaut mich an. Ich bin dreckig, rieche, und mein Magen grummelt – ein erbärmlicher Anblick. Mir ist die Situation absolut klar: Sie hält es für ungehörig, dass ein Mitglied ihrer Rasse sich in einer derartigen Verfassung befindet. Aber an genau dieses Gefühl versuche ich, bei ihr zu appellieren.
    »Okay«, sagt sie und stempelt mein Ticket. Ich gehe in die Abflughalle. Ich habe zu wenig Geld. Im Flugzeug wird es etwas zu essen geben. In gut vierundzwanzig Stunden.
    Die Kenianer kriegen durchaus etwas hin. Auf der Toilette gibt es Seife und Papier. Ich ziehe mein Black-Uhuru-T-Shirt aus, wasche Haar, Hals und Armbeugen im Waschbecken und trockne mich mit Toilettenpapier ab. Feuchte das T-Shirt im Waschbecken an und schmiere ein bisschen Seife an einen Zipfel. Mein Unterleib juckt. Ich gehe in eine der Kabinen, schließe die Tür und lasse die Hose herunter. Benutze den eingeseiften Zipfel des T-Shirts, um meinen Unterleib zu waschen, und die andere Hälfte des Hemdes, um die Seife wieder abzuwischen. Mir ist schwindlig vor Hunger. Bekomme nicht alle Seife ab. Ziehe die Hose hoch. Gehe mit nacktem Oberkörper zum Waschbecken und spüle das stinkende T-Shirt aus. Gehe wieder in die Kabine, lasse die Hose fallen und versuche, die restliche Seife abzuwischen. Black Uhuru ist vom Schweiß meines Hinterns verschmiert – ich denke nicht darüber nach, wie sich diese Symbolik erklären ließe. Saubere, frisch gebügelte Altmännerunterhosen mit Eingriff aus dem Schrank meines Vaters in Shinyanga. Es gibt keinen Abfalleimer, daher werfe ich das T-Shirt hinter die Toilette. Trete wieder ans Waschbecken und ziehe die Turnschuhe aus. Wasche meine Füße im Waschbecken. Ein Afrikaner in untadeligem Anzug kommt zur Tür herein. Er würdigt mich keines Blickes und geht in die Kabine, in der ich mein T-Shirt gelassen habe. Die Socken liegen auf dem Boden unter dem Waschbecken. Sie stinken. Ich trete sie in eine Ecke, lasse sie liegen. Saubere Socken, sauberes T-Shirt – beides von meinem Vater –, die letzten Klamotten, die ich besitze, denn aus Moshi habe ich nichts mitgebracht. Putze mir lange die Zähne. Es wird nicht besser. Gehe hinaus auf die langen, mit Linoleum belegten Gänge; der würzige Duft der äthiopischen, somalischen und kenianischen Frauen. Überlege, ob ich im Tax-Free-Laden ein Deodorant benutzen sollte, aber wenn sie mich erwischen, werden sie mich zwingen, es zu bezahlen. Kaufe ein Päckchen Marlboro. Fühle mich vor Hunger geradezu leicht im Kopf. Die Zigaretten schmecken unglaublich gut. Vielleicht könnte ich in einem Restaurant Teller waschen? Dann könnte ich etwas zu essen bekommen, eine warme Mahlzeit. Sind derartige Gedanken ein gutes Zeichen, oder bekomme ich allmählich einen Nervenzusammenbruch? Ich überlege, was sich innerhalb meiner Reichweite befindet. Im Bistro hinterlassen die Leute Berge von Essensresten auf ihren Tellern, aber ich bringe es nicht fertig, es mir zu nehmen und aufzuessen. Ich habe gerade noch genügend Kenia-Schillinge für eine Tasse Tee. Es ist viel los. Ich bezahle den Tee und trage ihn zu einem Tisch, auf dem zwei Plastiktabletts stehen. Auf beiden hinterlassene Fritten. Ohne mich umzusehen, ob jemand zuschaut, schütte ich die Pommes frites auf einen Teller, gieße eine Extraportion Ketchup und Salz darüber, und schaufele eine Unmenge Zucker in den Tee. Ich verzehre die Mahlzeit und kaue langsam. Die Nahrung soll vorhalten.
    Ich werde fast ohnmächtig, als ich den Finger hinunter zum Flugsteig gehe. »Entschuldigung«, sage ich zu einer Stewardess mit kastanienbraunem Haar und vollen Brüsten, »ich glaube, ich
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