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Liberty: Roman

Liberty: Roman

Titel: Liberty: Roman
Autoren: Jakob Ejersbob
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zehn-, zwölfjährigen Töchter vergewaltigte, um gesund zu werden.«
    »Jetzt haben die tansanischen Ärzte ein Verbot erlassen, den Leuten zu erzählen, dass sie positiv sind. Denn als eine der üblichen Reaktionen versuchen die Männer, mit so vielen Frauen wie möglich Sex zu haben, um sie mit ins Grab zu nehmen«, sagt Odile.
    »Aber man muss es ihnen doch sagen, wenn sie … ansteckend, gefährlich sind«, meint Katriina.
    »Aber die afrikanischen Ärzte haben recht«, erwidert Odile.
    »Womit haben sie recht?«, fragt Katriina.
    »Du erzählst einem afrikanischen Mann, er sei HIV -positiv, er werde Aids bekommen und sterben. Und bis dahin soll er ein Kondom benutzen, sonst steckt er andere an. Also geht er sofort los und vögelt mit allen, die nicht rechtzeitig auf die Bäume flüchten, um sie mit sich zu reißen. Das ist eine psychologische Reaktion, die wir nicht begreifen. Aber wir sehen, wie es ständig passiert«, berichtet Odile und schüttelt den Kopf.
    »Aber sind die Leute wirklich so promisk?«, wirft Vater ein.
    »Ja«, antwortet Odile. »Hier in der Gegend wird gearbeitet, wenn man sät oder erntet. Die übrige Zeit gibt es nichts zu tun.«
    Ich denke an Marcus und Claire.
    »Was ist, wenn du einen Säugling hast, der an Aids stirbt, und sowohl die Mutter wie der Vater sind positiv … würdest du die Todesursache vor den Eltern geheim halten, weil du damit rechnest, dass der Mann die Krankheit sofort weiterverbreiten wird?«, frage ich.
    »Ich sage einem afrikanischen Mann nie, dass er HIV -positiv ist. Das Risiko würde ich nicht eingehen«, erwidert Odile.
    »Ihr teilt es also niemals mit, wenn ihr einen Mann getestet habt und er positiv ist?«
    »Nein«, antwortet Odile. »Denn was wäre, wenn man es ihnen sagen würde? Kondome sind nicht aufzutreiben.«
    »Verzicht auf Sex«, schlägt Vater vor.
    »In Afrika«, lacht sie. »Was für ein Vergnügen hätten sie dann noch?« Nicht sie. Wir. Vater schaut Katriina an. Sie hat mit Jonas geschlafen, der alles vögelte, was sich bewegte. Und Vater hat mit ihr ohne Kondom geschlafen, sonst wäre sie nicht schwanger. Ich sehe Katriina an, die wiederum Vater ansieht. Die Blicke flackern hin und her. Ich denke an Ibrahims Malaria, Marcus’ und Claires kleine ausgemergelte Rebekka, Tita, die sich von Marcus hat vögeln lassen, an meine Mutter, die auf der TPC nach dem Schlangenbiss das Blut aus der Wunde des Gärtners saugte. Aber vor allem blicke ich auf meine Hände, auf denen ein paar Blutadern hervortreten. Wir wurden getestet, Rachel und ich – und der Arzt hat gesagt, es sei alles in Ordnung. Es scheint, als würde allen rund um den Tisch der Atem stocken. Es dauert nur einen Moment, dann ist wieder alles unter Kontrolle – äußerlich. Das Blut fließt unsichtbar in den Adern, und niemand weiß, welche Geheimnisse es in sich trägt.
    Vater tut, was er kann, um mir ein Flugticket zu beschaffen. Er würde mich sehr gern zurück nach Dänemark schicken. Es wird schwer sein, sich dort in einem Leben zurechtzufinden, aber hier ist es unmöglich.
    Vater hat genügend Travellerschecks und Dollar, um ein Ticket der KLM von Nairobi nach Rom zu kaufen, wo die Maschine zwischenlandet. Aber er hat nicht genug, um mich bis nach Amsterdam zu schicken. Er selbst will mich die knapp fünfhundert Kilometer nach Norden bis zum Grenzübergang bei Nyabikaye östlich des Victoriasees fahren. Von dort kann ich einen Bus nach Nairobi nehmen.
    »Ich komme bei der Bank in Dänemark nicht durch, um sie zu bitten, dem Reisebüro in Nairobi Geld zu überweisen; dieses Ticket ist das Beste, was das Reisebüro in Mwanza auftreiben konnte«, erklärt er nach einem langen Tag am Telefon.
    »Das ist total cool. Es ist okay.«
    »Gut«, erwidert Vater. »Ich habe genügend Kenia-Schillinge, damit du dir ein Busticket nach Nairobi kaufen kannst. Und noch ein bisschen mehr. Außerdem kann ich dir hundert Dollar geben. Du musst von Rom aus per Anhalter oder mit dem Zug weiterkommen. Glaubst du, du schaffst das?«
    »Ja.«
    »Hier«, sagt er und gibt mir einen Zettel. Ich schaue drauf. Es ist Mutters Adresse in Genf. Ich stecke ihn in die Tasche. »Sie würde dich gern sehen, wenn du dich anständig benimmst.« Ich schaue aus dem Fenster und spüre, dass er mich noch immer ansieht. »Die Dinge passieren«, sagt er. Die Weisheit tropft nur so aus ihm heraus.
    Vater setzt mich zwei Tage vor dem Abflugtermin an der Grenze ab. So habe ich Zeit genug für afrikanische Komplikationen auf
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