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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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aber auch, weil sie veranschaulichen, wie geschickt sich das Unwissen oft im Bekannten verbirgt. Die Herkunft des Katzenschnurrens zu erforschen, ist zum Beispiel nichts, womit man einen Nobelpreis gewinnt oder das Weltbild nachhaltig verändert. Aber trotzdem ist es ein Thema von außerordentlicher Strahlkraft, vor allem wegen der allgemeinen Verfügbarkeit von Katzen. Umgekehrt ist es für die meisten schwer zu verstehen, was am Higgs-Boson interessant sein soll, obwohl einem für dessen Entdeckung der Nobelpreis fast sicher wäre. Es ist auch keineswegs leicht herauszufinden, welche offene Frage langfristig gesehen unser Weltbild prägen wird. Das Kriterium Relevanz ist daher genauso subjektiv wie jedes andere auch. Denn wer weiß, vielleicht baut man schon in 100 Jahren ein ökologisches Kraftwerk aus schnurrenden Katzen. Vor 250 Jahren hätte auch niemand gedacht, dass wir einmal in der Lage sein würden, ganz ohne Kerzen im Dunkeln draußen herumzulaufen, nur weil wir verstanden haben, warum Froschschenkel zucken.
    Trotzdem: Mein Lieblingsthema fehlt
    Geisteswissenschaftliche und historische Themen sind im Lexikon des Unwissens etwas unterrepräsentiert, weil sie unseren Anforderungen an sinnvoll zu erforschendes Unwissen (siehe oben) selten entsprechen. Die Frage, warum das Segelschiff Mary Celeste 1872 zwischen den Azoren und Portugal ohne Mannschaft im Atlantik treibend aufgefunden wurde, ist zwar ungeklärt, wird aber wohl auch nicht mehr zu beantworten sein. Und auch die Frage nach den Ursachen bestimmter Krankheiten kommt aus gutem Grund zu kurz. Schon bald nach Recherchebeginn stapelten sich auf unseren Schreibtischen die Berichte über Krankheiten unklarer Genese, und wir mussten einsehen, dass so gut wie kein Krankheitsauslöser als durch und durch verstanden gelten kann, abgesehen vielleicht von der Ursache des Beinbruchs (nämlich mechanische Gewalteinwirkung, oft durch am falschen Ort herumliegende Gegenstände). Vorschläge für neue Unwissensthemen, die wir in einer eventuellen Neuauflage ins Lexikon aufnehmen können, werden unter der Mail-Adresse [email protected] jedoch gern entgegengenommen.
    Sind nicht vielleicht doch die Außerirdischen an allem schuld?
    Erstaunlich viele offene Fragen in diesem Buch kann man mit Hilfe von Wesen aus dem All erklären. Kugelblitze zum Beispiel sind eventuell Raumschiffe aus fremden Welten. Mit Hilfe von halluzinogenen Substanzen nehmen Außerirdische Kontakt mit uns auf, das behauptet jedenfalls Rob McKenna. Und die Explosion von Tunguska hat natürlich auch etwas mit den Aliens zu tun, ganz zu schweigen vom Stern von Bethlehem. Christopher Chippindale, Archäologe und Autor von «Stonehenge Complete», führt die Alien-Spekulationen des 20. und 21. Jahrhunderts, Allzweckwaffe gegen Unwissen jeder Art, auf historische Vorbilder zurück. Lange Zeit nahmen die Bewohner von Atlantis die Rolle der Außerirdischen ein: Sie haben Amerika besiedelt, sie haben Stonehenge erbaut, und der Untergang ihres Reiches löst das Rätsel um die Fortpflanzung der Aale.
    Vor dem Atlantis-Trend spielten die Phönizier eine wichtige Rolle bei der Erklärung des Unbekannten, Chippindale zufolge der Prototyp für die Außerirdischen von heute. Auch die Phönizier, immerhin ein echtes, historisch belegtes Volk, kommen in manchen Theorien als die ersten Bewohner Amerikas vor, und auch sie könnten Stonehenge erbaut haben. «Warum nicht?», fragt sich mancher, der verzweifelt nach Antworten ringt. «Warum nicht die Phönizier?» Genau hier liegt das Problem der Theorien aus der Halbwelt: Sie mögen überzeugend aussehen, lassen sich aber weder beweisen noch widerlegen, vor allem, weil man über die Außerirdischen (genauso wie über Atlantis und Phönizien) wenig bis gar nichts weiß. Sie sind weit weg, mächtig und mysteriös. Man erklärt etwas Unbekanntes einfach mit etwas ganz anderem Unbekanntem. Die Sache mit den Außerirdischen muss deshalb nicht falsch sein, man kann nur keine Aussage über ihren Wahrheitsgehalt treffen; die Theorie ist, wie der Physiker Wolfgang Pauli in ähnlichem Zusammenhang feststellte, «nicht einmal falsch». Das ist natürlich auch ein Wettbewerbsvorteil, denn so kann man die betreffende abseitige Lösung problemlos an ganz unterschiedliche Unwissensfragen anpassen. Eines Tages jedoch werden auch Außerirdische genauso aus der Mode kommen wie einst die Phönizier und durch etwas noch Exotischeres und Unverständlicheres ersetzt werden.
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