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Lewis, Michael

Lewis, Michael

Titel: Lewis, Michael
Autoren: The Big Short
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Ansicht nach ganz einfach: »Gier auf beiden Seiten -
Gier der Investoren und Gier der Banker.« Ich fand, die Sache sei
komplizierter. Gier an der Wall Street war eine Gegebenheit, fast schon eine
Pflicht. Das Problem bestand im System der Anreize, das die Gier kanalisierte.
    Der
Grat zwischen Glücksspiel und Investitionen ist künstlich und schmal. Selbst
die solideste Investition besitzt das prägende Merkmal einer Wette (man kann
seinen gesamten Einsatz verlieren in der Hoffnung, ein bisschen mehr Geld zu
verdienen), und die wildesten Spekulationen haben den unübersehbaren Charakter
einer Investition (man kann sein Geld mit Zinsen zurückbekommen). Die
vielleicht beste Definition einer »Investition« ist die eines »Glücksspiels, bei
dem die Chancen aufseiten des Anlegers sind«. Die Investoren, die gegen den
Subprime-Hypothekenmarkt spekuliert hatten, hatten die Chancen auf ihrer Seite.
Die Anleger der anderen Seite - praktisch das gesamte Finanzsystem - hatten bei
ihren Spekulationen die Chancen gegen sich. Bis zu diesem Punkt hätte die
Geschichte der großen Short-Spekulation einfacher gar nicht sein können.
Merkwürdig und kompliziert ist daran jedoch, dass nahezu alle wichtigen
Beteiligten beider Seiten den Spieltisch reich verließen. Steve Eisman, Michael
Burry und die jungen Männer von Cornwall Capital verdienten jeweils zig
Millionen US-Dollar. Greg Lippmann erhielt 2007 Zahlungen von 47 Millionen
US-Dollar, davon allerdings 24 Millionen US-Dollar in Belegschaftsaktien, über
die er nur verfügen konnte, wenn er noch einige Jahre bei der Deutschen Bank
blieb. Aber sie alle hatten Recht behalten und ihre Wette gewonnen. Wing Chaus
CDO-Verwaltungsunternehmen machte Bankrott, doch auch er ging mit zig Millionen
US-Dollar nach Hause - und besaß den Nerv, eine Firma zu gründen, die
ausgerechnet die Subprime-Hypothekenanleihen, mit denen er Milliarden US-Dollar
anderer verloren hatte, billig aufzukaufen versuchte. Howie Hubler machte
höhere Verluste als irgendein einzelner Wertpapierhändler in der Geschichte der
Wall Street - und durfte dennoch die zig Millionen US-Dollar behalten, die er
verdient hatte. Auch die Chefs jedes größeren Wall-Street-Unternehmens hatten
auf die falsche Seite gesetzt. Ausnahmslos trieben sie alle ihre Aktiengesellschaften
in den Ruin oder mussten sie vom US-Staat vor dem Ruin retten lassen. Aber auch
sie wurden alle reich.
    Wie
stehen die Chancen, dass Menschen kluge Finanzentscheidungen treffen, wenn für
sie keine Notwendigkeit zu klugen Entscheidungen besteht, weil sie auch mit
dummen Entscheidungen reich werden können? Die Wall Street setzte durchweg
falsche Anreize und tut es immer noch. Aber ich diskutierte nicht mit John
Gutfreund. So wie man wieder zum Neunjährigen wird, sobald man seine Eltern besucht,
verfällt man in Gegenwart seines ehemaligen CEO auch wieder in völlige
Unterordnung. John Gutfreund war nach wie vor der König der Wall Street und ich
ein Geek. Er äußerte klare Feststellungen, ich stellte Fragen. Aber während er
sprach, wanderte mein Blick immer wieder auf seine Hände. Seine beunruhigend
kräftigen, fleischigen Hände. Es waren nicht die zarten Hände eines
Wall-Street-Bankers, sondern die eines Boxers. Ich sah auf. Der Boxer lächelte
- allerdings war es weniger ein Lächeln als eine Platzhaltermiene. Mit großem
Nachdruck sagte er: »Ihr... verdammtes... Buch.«
    Ich
erwiderte das Lächeln, aber es gelang mir nicht recht.
    »Warum
haben Sie mich zum Mittagessen eingeladen«, fragte er, wenn auch freundlich. Er
wollte es wirklich wissen.
    Man
kann niemandem sagen, dass man ihn zum Mittagessen eingeladen hat, um ihm zu
zeigen, dass man ihn nicht für böse hält. Man kann auch niemandem sagen, dass
man ihn zum Mittagessen eingeladen hat, weil man glaubt, die größte
Finanzkrise der Weltgeschichte auf eine Entscheidung zurückführen zu können,
die er getroffen hat. John Gutfreund hatte der Gesellschaftsordnung der Wall
Street Gewalt angetan - und sich den Beinamen »König der Wall Street« eingehandelt
-, als er Salomon Brothers 1981 von einer Handelsgesellschaft mit persönlich
haftenden Gesellschaftern in eine Aktiengesellschaft umwandelte. Über die
Empörung der Salomon-Gesellschafter, die sich in den Ruhestand zurückgezogen
hatten, hatte er sich hinweggesetzt. (»Ich war entsetzt über seinen
Materialismus«, sagte mir William Salomon, der Sohn eines der Firmengründer,
der Gutfreund erst zum CEO gemacht hatte, nachdem er
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