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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman
Autoren: C.H.Beck
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aus.
    Eine Eidechse lief an ihrem Rock hinunter.
    «
Wer
war das?»
    Timothy und Dharmendar blickten sich an, und alle anderen kicherten. Ajwani beförderte die Plastikeidechse mit einem Fußtritt in Richtung Strand. Mrs Rego fing wieder an zu zählen.
    «Was werden Sie jetzt tun, Mr Ajwani?», fragte sie und nippte an ihrem Saft.
    «Zuerst habe ich überlegt, ganz aus dem Immobiliengeschäft auszusteigen», sagte er. «Aber dann habe ich gedacht, dass es in dieser Branche auch ehrliche Menschen gibt. Zu denen möchte ich gehören.»
    Sie kniff ein Auge zu, schaute in ihr Glas und stellte es dann auf den Verkaufsstand zurück.
    «Stimmt es, was man so hört? Dass Sie das Geld des Bauherrn nicht angenommen haben?»
    Er leckte sich über die Lippen und stellte sein Glas neben ihrem ab.
    «Zuerst ja. Aber ich habe Familie. Zwei Söhne. Eine Ehefrau.»
    Ein bärtiger Mann trat an den Zuckerrohrsaftstand; er blickte Mrs Rego prüfend an und lächelte dann.
    «Sie sind doch die Sozialarbeiterin, die in den Slums Gutes tut?»
    Mrs Rego zögerte und nickte dann.
    «Ich habe Sie in Ihrem Büro gesehen, Madam», sagte der bärtige Mann. «Ich habe auch in Vakola gelebt, in einem Slum, dort,wo der Ultimex-Konzern jetzt sein Gebäude baut. Ultimex Milano.»
    Ajwani und Mrs Rego sahen den bärtigen Mann prüfend an. Er trug ein weißes Scheitelkäppchen.
    «Sind Sie der Mann, der so ein Riesenglück hatte? Der 8,1-Millionen-Mann?»
    «Allah sei Dank, Sir, ja, man könnte sagen, dass ich dieser Mann bin. Jetzt habe ich allerdings kein Geld mehr. Hab eine Dreizimmerwohnung in Kurla in einem
pucca
Gebäude gekauft. Und auch einen kleinen Maruti Suzuki.»
    «Sie sehen ganz und gar nicht unglücklich aus», sagte Mrs Rego.
    «Warum sollte ich auch unglücklich sein?» Der Mann, der so ein Riesenglück gehabt hatte, lachte. «Meine Kinder hatten nie ein richtiges Zuhause. Vier Töchter habe ich. Das Schicksal meint es dieser Tage mit vielen Menschen gut. Hier in Juhu gibt es einen Mann, der im Slum lebt und dem von einem Bauherrn 63 Millionen Rupien angeboten wurden, wenn er wegzieht. Er ist ein Bekannter von einem Bekannten von mir, und ich bin hierhergekommen, um mich mit ihm zu unterhalten. Darüber, wie man mit diesen Bauherren umgeht.»
    Die Arbeiter am Zuckerrohrsaftstand hatten das Gespräch mitgehört und fragten den Mann, der so ein Riesenglück gehabt hatte, nach Einzelheiten; ein Zeitungsverkäufer gesellte sich dazu. Einer aus dem Slum? 63 Millionen? Hier in der Nähe? Welcher Slum? Wer war der Mann? War er sicher, dass es tatsächlich drei
undsechzig
waren?
    Mrs Rego und Ajwani musterten den bärtigen Mann, der kleine Flecken, die vielleicht von den Masern herrührten, auf seiner großen Nase hatte, und fragten sich, ob dies die Male waren, anhand derer man Menschen erkennen konnte, die vom Glück begünstigt waren.
    Die Jungen, die ihren Saft ausgetrunken hatten, gingen vomStrand zur Hauptstraße. Vijay, der durch den Saft wieder zu Kräften gekommen war, hatte Dharmendar in den Schwitzkasten genommen.
    Mrs Rego wünschte, sie hätte den Saft nicht getrunken; nach der plötzlichen Zuckerzufuhr fühlte sie sich wie immer deprimiert. Sie leckte sich über die Lippen und spuckte den Rest des süßen Saftes aus – Zuckerrohr, die beste Entschädigung, die die Stadt diesen Jungen für ihre Träume anbieten konnte, die sie nicht erfüllen würde.
    «Was soll bloß aus ihnen werden, Mr Ajwani? So gute Jungs, alle miteinander …»
    «Was meinen Sie damit, was soll bloß aus ihnen werden?»
    «Ich meine damit, Mr Ajwani, diese Begabung, diese Energie – haben diese Jungen eine Ahnung, was vor ihnen liegt? Enttäuschungen. Mehr nicht.»
    Der Makler blieb stehen. «Wie können ausgerechnet
Sie
das sagen, Mrs Rego? Sie haben doch immer anderen Menschen geholfen.»
    Sie blieb neben ihm stehen. Kummer ließ ihr Gesicht kleiner und dunkler erscheinen.
    Ajwani lächelte; die Falten auf seinen Wangen vertieften sich.
    «Ich habe etwas über das Leben gelernt, Mrs Rego. Sie und ich waren gefangen, aber wir
wollten
in Gefangenschaft sein. Diese Jungen werden in einer besseren Welt leben. Gucken Sie mal da.»
    «Wo?», fragte sie.
    Ein Bus, der auf seiner Karosserie für einen Film mit dem Titel «Dance, Dance» warb, fuhr vorbei, Autorikschas und Motorroller folgten ihm. Als sie vorbei waren, sah Mrs Rego eine Gruppe weißuniformierter
dabbawallahs
mit ihren eckigen Käppis, die im Kreis saßen und auf dem Gehsteig Karten
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