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Letzter Mann im Turm - Roman

Letzter Mann im Turm - Roman

Titel: Letzter Mann im Turm - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Shanghai-Fundament liegt schon eine Leiche, und es gibt noch genug Platz für eine zweite. Kapiert?»
    Shah grinste. Shanmugham begriff, dass er vielleicht einen Reißzahn hatte, dieser Mann aber hatte den ganzen Mund voll davon.
    «Kapiert?»
    Shanmugham war nicht fähig, sich zu rühren. Ihm wurde bewusst, wie klein er in diesem Becken war, in das er sich begeben hatte: dem Haifischbecken der Immobilienbranche.
    «Shanmugham. Warum verschwendest du meine Zeit?»
    «Tut mir leid, Sir.»
    «Geh runter und warte im Auto auf mich. Wir müssen den Jungen aus der Polizeiwache rausholen.»
    «Ja, Sir.»
    Und Shanmugham ging in die Garage hinunter.
    Immerhin,
dachte Shah,
habe ich sechs gute Jahre aus ihm herausgeholt.
Auf den Block auf seinem Schreibtisch, auf den er notiert hatte:
    Marmor, creme
    Fenstergitter (Fabergé-Ei-Muster; bis zu einer Rupie mehr pro Kilo Schmiedeeisen. Mehr nicht.)
    fügte er hinzu:
    linke Hand
    Vor dem Spiegel zupfte er seine Kleidung zurecht, spuckte sich auf den Finger, prüfte die Farbe und ging nach unten.
    Juhu. Zwei halb hochgezogene Wohntürme wie Zwillingsphantome hinter einem Schirm aus Bäumen, weder verschwanden sie völlig noch waren sie deutlich zu sehen.
    Dharmen Shah hatte diese Bauten gründlich satt.
    Er wandte sich an seinen Sohn und fragte: «Wie oft willst du das noch machen?»
    «Was machen?» Satish sah aus dem Fenster des fahrenden Autos. Er trug ein hellgrünes Hemd; das Hemd seiner Schuluniform, das er ausgezogen hatte, befand sich in einer Plastiktüte zu seinen Füßen.
    «Schande über deinen Familiennamen bringen.»
    Der Junge lachte.
    «Ich bringe Schande über
deinen
Namen?» Er starrte seinen Vater an. «Ich habe die Zeitungen gelesen, Vater. Ich habe mitbekommen, was in Vakola passiert ist.»
    «Ich weiß nicht, was du da gelesen hast. Dieser alte Lehrer hat sich umgebracht. Er war verrückt.»
    Der Junge sprach langsam. «Alle in unserer Gang sind Söhne von Bauherren. Wenn ihr uns diese Aktionen jetzt nicht machen lasst», sagte er, «wie sollen wir dann später mal gute Bauherren werden?»
    Shah entdeckte eine Platinkette um den Hals seines Sohnes; die jüngere Generation zog dieses Edelmetall dem Gold vor.
    Satish wollte in Bandra abgesetzt werden; er hatte vor, bei Lucky’s Mittag zu essen. Sein Vater hatte ihm am Bahnhof Juhu seine Kreditkarte abgenommen; nun gab er sie dem Jungen, zusammen mit einem Fünfhundertrupienschein, zurück.
    Satish legte sich in einer Abschiedsgeste den Geldschein an die Stirn. «Eines Tages werden wir stolz aufeinander sein, Vater.»
    Auf einem Gehsteig in der Nähe des Mahim Dargah, des Sufischreins, sah Shah ein Dutzend Bettler, die vor einem billigen Lokal auf kostenloses Brot und Curry warteten. Jedes Gesicht, müde, lebhaft und gerissen, schien zu leuchten. Ein Blinder hattesein Gesicht mit einem Ausdruck dümmlicher Ekstase gen Himmel gerichtet. Nur ein, zwei Meter entfernt davon schien ein Mann mit roten trüben Augen, der den Kopf mit den Händen umklammerte, das verängstigtste Wesen auf Erden zu sein.
    Shah betrachtete ihre Gesichter im Vorbeifahren.
    Wenn nur nicht so wenig Verkehr an dem Abend geherrscht hätte, als der alte Lehrer in seine Wohnung nach Malabar Hill gekommen war. Wenn er sich nur von Angesicht zu Angesicht mit diesem Lehrer hätte unterhalten können, dann wäre die Angelegenheit gut ausgegangen. Es hätte kein Blut vergossen werden müssen.
    Warum hatten sie sich nicht getroffen?
    Es kam ihm so vor, als sähe er einen glühend roten Vorhang und eine Silhouette, die sich dahinter bewegte; als der Vorhang aufgerissen wurde, blickte er in die Gesichter der Bettler vor seinem Auto. Sein ganzes Leben lang hatte er Gesichter wie diese gesehen und gedacht:
Lehm. Mein Lehm.
Er hatte sie sich bei seinen Sanierungsprojekten zurechtgeformt, er hatte sich an ihnen bereichert. Jetzt kam es ihm so vor, als wären diese strahlenden, geheimnisvollen Gesichter die dunklen Mächte in seinem Leben.
Sie haben dafür gesorgt, dass mein Shanghai nicht gebaut wird. Damit ihre Stadt gebaut werden kann. Sie haben mich für ihre Zwecke benutzt.
    Einer der Bettler lachte. Ein Chor aus Feinstaub schrillte in Dharmen Shahs Lungen; er hustete und hustete und spuckte schließlich in eine Ecke des Mercedes.
    Eine halbe Stunde später lag er ohne Hemd auf einem kalten Metallbett. Der einzige Ort auf Erden, an dem eine individuelle Betreuung deprimiert.
    «Wir haben die Liege auf Ihre Körpermaße eingestellt.» Die Stimme des
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