Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht
Autoren: Stewart O'Nan
Vom Netzwerk:
schwarzen Schwesternschuhen und den Waden eines Mountainbikers – sie hat das ganze Leben in diesem Job geschuftet und ist die Einzige, der eine betriebliche Altersversorgung von Darden zusteht. Das Namensschild an ihrer Uniform wird schon längst nicht mehr hergestellt; er hat versucht, eins bei eBay zu finden. Da Manny nicht verlangen kann, dass sie Jacquies, Crystals oder Nicolettes Nischen herrichtet, schnappt er sich eine Sprühflasche Windex und macht sich selbst an die Arbeit.
    «Was denn», sagt Roz, «bist du etwa auf‘ ne Beförderung aus? Wo ist überhaupt deine Freundin?»
    «Welche denn?»
    «Los, ihr müsst alle lachen», sagt sie in den Raum hinein, und Eddie blickt auf. «Der Boss hat einen Witz gerissen. Wenn ich ihr erzählen würde, was du gesagt hast, würde ihr das bestimmt gefallen.»
    «Sie kommt noch.»

    «Ich kapier nicht, warum. Schuldest du ihr Geld, oder was?»
    Schon wieder so eine stichelnde Bemerkung, aber Manny tut sie mit einem Schulterzucken ab. Er lässt sich das von Roz gefallen, weil er weiß, dass die Situation, von außen betrachtet, lächerlich wirkt, aber sie kennt nicht die ganze Geschichte. Er schuldet Jacquie viel mehr als schlichte Loyalität. Er hat ihr größere Enttäuschungen bereitet, für die es keine Entschuldigung gibt. Was Jacquie wirklich denkt, ist ihm ein Rätsel. Vor einem Jahr hat sie auf die Karte an seinem Geschenk «Für immer»  geschrieben. Jetzt reden sie kaum noch miteinander. Das Baby ist nicht das einzige Problem, genauso wenig wie Deena oder Jacquies Freund Rodney. All das ist speziell, wenigstens redet Manny sich das gern ein, um damit sich und Jacquie vom Rest der Welt zu scheiden. Von Anfang an wohnte ihrer Beziehung etwas Traumhaftes, Unwirkliches inne, etwas Unausgewogenes (alle konnten sehen, dass sie zu schön für ihn war), aber das ist, genau wie alle anderen ernsthaften Gedanken, die er sich über Jacquie und sich gemacht hat, lediglich eine Vermutung.
    «Sie kommt noch vor Nicolette», prophezeit er.
    «Du glaubst echt, dass sie kommt?»
    «Ja», sagt er und dann: «Wen meinst du?»
    «Nicky», sagt Roz, denn Nicolette kann diesen Namen nicht ausstehen.
    «Wenn sie ihren Scheck haben will, kommt sie.»
    «Die ist so faul, dass sie nicht mal beantragt hat, sich das Geld aufs Konto überweisen zu lassen.»
    «Das sag ich ihr.»
    «Sag ihr, was du willst», erwidert Roz. «Ich hab vor ihr keine Angst.»

    Und als könnte sie ihn noch nicht vom Haken lassen, fragt sie plötzlich: «Wer macht die Bar?»
    «Dom.» Dom ist verlässlich, und Roz war immer ein bisschen in ihn verknallt, so weit so gut. Manny ist mit Jacquies Tischen fertig und macht sich über die von Nicolette her. Roz beobachtet ihn kopfschüttelnd und wendet sich Crystals Bereich zu.
    «Danke», sagt Manny.
    «Das ist mein Problem», sagt sie. «Ich bin zu nett.»
    Neben der Eingangstür klopft jemand an die Scheibe –  Kendra, mit flauschigen weißen Ohrenschützern, das dunkle Haar vom Wind übers Gesicht gefächert.
    «Lass sie außen rumgehen» sagt Roz, doch Manny hat schon Blickkontakt aufgenommen und stellt die Sprühflasche ab. «Gott, bist du leicht rumzukriegen.»
    Ihre Worte klingen eher resigniert als empört. Kendra ist zwanzig und studiert Betriebswirtschaft an der Central. Sie ist im Schwimmteam und trägt anschmiegsame Kaschmirpullover und streifendünne Halsbänder, auf der Haut eine Kamee. Die Jungs in der Küche passen besonders gut auf, wenn sie reingeflitzt kommt, um sich einen sauberen Lappen oder neue Zahnstocher zu schnappen.
    Bei ihrem Anblick verstummen Rich oder Warren, und obwohl sie es auf diese Art von Verehrung nicht anlegt, sind die Serviererinnen eifersüchtig – es zählt nicht, dass sie doppelt so viel leisten wie Kendra. Manny nimmt sie nicht mit in den Olive Garden, also kommt sie heute nur aus Gefälligkeit, und er bedankt sich dafür.
    «Ich würde bloß zu Hause rumsitzen», sagt sie und wischt sich den Schnee von den Schultern, und er denkt, auch sie wird ihm fehlen.
    Er überlässt ihr das Empfangspult, richtet Nicolettes Nischen her und geht in die Küche. Ty schabt den Grill sauber, brennt die Reste von gestern herunter und hobelt alles mit einem Spachtel ab. Er hat den Ventilator an, und das leise Brummen übertönt das Radio, sodass Manny nur den blechernen Morsecode der Becken hört. Rich und Fredo sind da, der eine mischt Brötchenteig, und der andere, hager und vornübergebeugt, schneidet neben Leron den Weißkohl für den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher