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Letzte Nacht

Letzte Nacht

Titel: Letzte Nacht
Autoren: Stewart O'Nan
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mit seinem aufgemotzten Supra in die Quere und macht hupend einen Satz nach vorn, sodass Manny nicht vorbei kann. Manny hält den tropfenden Eimer hoch, droht, den Rest über die lange Haube zu kippen, und Ty braust auf den freien Platz neben dem Regal.
    Ty sieht klasse aus, er trägt eine schwarze Lederjacke wie Manny, aber ein wirkliches gutes Stück, nicht von Men’s Warehouse, Schultern und Taille auf Maß, wie angegossen. Mit seinem dünnen Oberlippenbart und dem kurz geschnittenen Ziegenbärtchen sieht er aus wie Mekhi Phifer in Emergency Room, dasselbe verschmitzte Lächeln.
    «Hey, Chef», sagt er und streift einen Autohandschuh ab, um Manny die Hand zu geben, «was machen wir hier eigentlich? Wir müssen doch sowieso früher schließen. Es soll ungefähr einen halben Meter Schnee geben.»
    «Acht bis fünfzehn Zentimeter.»
    «Vor fünf Sekunden haben sie fünfundzwanzig bis fünfunddreißig angesagt», erwidert er und deutet auf seinen Wagen.
    «Ja, und wann hatten sie zum letzten Mal recht?»
    Die Wolken hängen direkt über dem Einkaufszentrum, und der Wind frischt auf. Warum sollte es ihm etwas ausmachen, wenn sie früher schließen? Er weiß nicht, aber der Gedanke ist enttäuschend. Es kommt ihm schon seltsam vor, dass er das Restaurant verlässt – als bliebe ihm hier noch irgendetwas zu beweisen, als hätte er noch etwas zu erledigen. Im Olive Garden fängt er als stellvertretender Filialleiter an, und obwohl er weiß, dass sie ihm nicht einfach seine eigene Filiale geben konnten, und obwohl sein Gehalt gleich bleibt, betrachtet er das Ganze als Zurückstufung. Deena ist froh, dass er weniger arbeiten muss. Auch er sollte froh sein.
    «Ich kann’ s immer noch nicht glauben», sagt Ty. «Das ist derselbe Scheiß, den die Navy mit uns gemacht hat.

    Ich kann nicht glauben, dass ich mich auch im wirklichen Leben mit so was abfinden muss.»
    «Musst du ja nicht», sagt Manny.
    «Wenn ich was zu Beißen haben will, schon.»
    Ty hatte in der Küche schon das Sagen, als Manny noch ein unerfahrener Anlernling war. Er kam damals direkt vom U‐Boot, und beim Kochen legt er eine ungemein disziplinierte, stramme Haltung an den Tag, hält alles in Gang und macht jeden zur Schnecke, der das Tempo nicht mitgeht. Von ihnen allen hat Ty vermutlich die besten Chancen auf einen vergleichbaren Job, doch Manny fand, er müsste sich ihm gegenüber loyal verhalten, das heißt, er ließ Derek gehen, der normalerweise für die Mittagsschicht zuständig war, und Rafael, der manchmal die Wochenenden übernahm. Beide sagten, sie verstünden das, und obwohl sie es nicht aussprachen, erwarteten sie, dass er verstand, warum sie ab dem Tag nicht mehr kamen. Ty sagt, die Vierzehnstundentage machen ihm nichts aus, solange er bezahlt wird, aber weil erst die Platzanweiserinnen, dann die Serviererinnen und schließlich das Küchenpersonal von Bord gingen, waren die letzten paar Wochen hektisch, und Ty ist jeden Tag später gekommen. In gewisser Hinsicht werden sie beide froh sein, wenn dieser Tag vorbei ist.
    «Wen hab ich in der Küche?», fragt Ty. «Sag bloß nicht Frito.»
    «B‐Mac, Warren und Rich. Und Fredo.»
    Ty dreht sich um und geht auf seinen Wagen zu.
    «Wohin willst du?», ruft Manny.
    «Heim. Ich kann doch in der Küche nicht mit drei Leuten arbeiten.»
    «Fünf. Und ich helfe aus.»

    «Mit vier Leuten kommen wir Samstagabends nicht aus.»
    «Fünf – und ich dachte, wir müssen heute sowieso frü her schließen.»
    «Das solltest du hoffen, denn ich schwör’s, ich bring Frito um, wenn ich den ganzen Abend seinen Scheiß wieder hinbiegen muss.»
    «Musst du nicht», verspricht Manny, aber bloß damit Ty reinkommt. Heute steht überall die Loyalität auf dem Prüfstand (er hat gehört, dass manche Zentralen Spione vorbeischicken, die den Bestand kontrollieren sollen, besonders bei Hummern und Alkohol), und er ist auf Ty angewiesen. Er wird alles Nötige tun, damit sie das hier mit Anstand über die Bühne bringen und zum Olive Garden kommen.
    «Okay», sagt Ty, «aber Rich ist Bäcker. Ich muss meine Jungs bei mir haben.»
    «Fredo hilft bei Bedarf, wie wär’s damit?»
    «Halt ihn einfach von der Kochzeile fern, dann kriegen wir das schon hin.»
    Ty tauscht sein teures Leder gegen eine makellos saubere Kochjacke und ‐schürze ein, dreht das Radio auf dem Regal über dem Spülbecken neben der Hintertür an (Ludacris, wummernd) und macht sich im Kühlraum an die Arbeit, wo er aus den farblich als frisch
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