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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River
Autoren: John Irving
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erzählte sie ihm. (»Wenn du meinst, dass es in Toronto kalt ist, zieh mal nach Minneapolis«, sagte sie zu ihm.) Amy hatte sich in einem Club namens Minnesota Storm ein wenig als Ringerin versucht. Sie hatte sich mit »etlichen Ringern herumgetrieben, die früher mal im Team der Uni von Minnesota aktiv waren«, sagte sie - was sich Danny nicht so recht vorstellen konnte.
    Amy Martin - Martin war ihr Mädchenname gewesen, den sie »vor Jahren« wieder angenommen hatte - war Kanadierin. Sie hatte lange in den Vereinigten Staaten gelebt und war amerikanische Staatsbürgerin geworden, doch »im Grunde ihres Herzens« war sie Kanadierin geblieben und hatte immer nach Kanada zurückkehren wollen.
    Danny wollte wissen, weshalb sie überhaupt in die Staaten gezogen sei. »Wegen eines Typs, den ich kennengelernt hatte«, antwortete ihm Amy achselzuckend. »Dann kam mein Sohn dort zur Welt, deshalb dachte ich, ich sollte bleiben.«
    Ihre politische Einstellung beschrieb sie als »inzwischen weitgehend desinteressiert«. Sie war es leid, wie wenig Amerikaner über den Rest der Welt wussten - oder wie wenig sie wissen wollten. Nach zwei Amtszeiten würde die verfehlte Politik der Bush-Regierung wahrscheinlich das Land
(und
den Rest der Welt) in einem schlimmen Chaos zurücklassen. Damit meinte Amy Martin, es wäre höchste Zeit, dass endlich ein Held auf einem Pferd angeritten käme, aber was könnte ein Held auf einem Pferd schon ausrichten?
    Viel würde sich nicht verändern, sagte Lady Sky. Sie war in einem Land auf die Erde gefallen, das nicht an Engel glaubte; und doch hatten die Bibelfreaks dort sich eine der beiden großen Parteien unter den Nagel gerissen. (Bei den Bibelfreaks würde sich
nie
viel ändern.) Außerdem gab es noch die, wie Amy sie nannte, »Arschgeigen-Fraktion des Landes« - die Danny als das Dümmer-als-Hundescheiße-Element kannte, die aggressiven Patrioten -, und die waren zu festgefahren in ihren Ansichten oder zu ungebildet (oder beides), als dass sie über ihre Nasenspitze, das ständige Fahnengeschwinge und das nationalistische Getöse hinausschauten. »Die Konservativen sind eine ausgestorbene Gattung«, sagte Lady Sky, »sie wissen es nur noch nicht.«
    Als Danny schließlich Amy das Haupthaus gezeigt hatte - die große Badewanne, das Schlafzimmer und die Wildsteaks, die er zum Abendessen auftaute -, hatten sie herausgefunden, dass sie, zumindest politisch betrachtet, unter einer Decke steckten. Zwar wusste Amy mehr über Danny als er über sie, doch nur, weil sie jedes Wort gelesen hatte, das er je geschrieben hatte. Sie hatte auch fast die ganze »Scheiße« gelesen, die über ihn geschrieben worden war. (Wenn es um Medien ging, verwendeten sie beide instinktiv den Begriff
Scheiße,
steckten also auch in ihrer Einschätzung der Medien unter einer Decke.)
    Vor allem wusste Amy, wann und wie er seinen Sohn Joe verloren hatte - und wann sein Dad gestorben war und unter welchen Umständen. Er musste ihr von Ketchum erzählen, über den sie gar nichts wusste, und auch wenn ihm das schwerfiel - außer mit Sixpack redete Danny nicht über ihn -, merkte er plötzlich, dass er den alten Holzfäller durchs Erzählen zum Leben erweckte, genau wie in seinem Roman, und so sprach er lange über den im Entstehen begriffenen Roman und das erste Kapitel, das ihm immer wieder entglitt.
    Sie erhitzten das Seewasser in den Nudeltöpfen auf dem Gasherd fast zum Siedepunkt, und als ihre beiden Körper in der großen Badewanne lagen, war sie randvoll; dass jemand irgendwann mal die Riesenwanne ausfüllen könnte, war für Danny unvorstellbar gewesen, denn nicht einmal als Schriftsteller hatte er sich je eine Riesin darin vorgestellt.
    Amy erzählte ihm die Geschichte ihrer zahllosen Tätowierungen. Das Wann, Wo und Warum der Tattoos fesselte Dannys Aufmerksamkeit - sowohl in der warmen Wanne als auch anschließend im Bett in dem Schlafzimmer mit dem propanbeheizten Kamin. Vierzig Jahre zuvor hatte er sich Amys Tattoos nicht genau angesehen - weder, als sie mit Schlamm und Schweinescheiße bespritzt, noch danach, als sie nur mit einem Badetuch bekleidet gewesen war. Damals, fand Danny, wäre es ungehörig und unerwünscht gewesen, sie anzustarren.
    Jetzt betrachtete er sie eingehend von Kopf bis Fuß. Viele von Amys Tätowierungen hatten mit Kampfsport zu tun. Sie hatte Kickboxen in Bangkok probiert; eine Zeitlang hatte sie in Rio de Janeiro gelebt und dort an einer erfolglosen Ultimate-Fighting-Tour für Frauen
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