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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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vermißt.«Schluß jetzt!», sagte er laut.
     
    Als er hinausgehen wollte, begegnete ihm Jennifer. Warf sie ihm«einen entschuldigenden Blick»zu? Bedauerte sie ihre Eskapaden? Es hatte nicht den Anschein. Sie ging soeben mit einem älteren Herrn durch die Drehtür hinaus, einem Autor mit Bürstenschnitt und Schnurrbart. Sie hatte ihn untergefaßt, schwere Wanderschuhe trug er, und überm Bauch hing ihm eine Straßenbahnertasche am Riemen, das hielt er wohl für den neuesten Schrei.
    War das nicht Willkowski, dieser Mensch, der mit örtlichen Knasterfahrungen hausieren geht?, fragte sich Alexander. Ihm war so, als ob der das war. Wahrscheinlich war es dieser Mensch, der jetzt das kleine Fremdenzimmer im Institut belegte. Seinetwegen mußte sich Alexander im Hotel dem Mädchengekicher aussetzen.
    Dieser Mann hatte jetzt Oberwasser.
    New York! Alexander bummelte die Straße hinunter. Er kannte sich ja nun schon aus. Vielleicht sah er die alte Dame wieder, die damals Flaschenkisten aufgestapelt hatte.
    Es regnete, und der Regen ging allmählich in Schlackerschnee über. Alexander fragte sich, ob er den Schirm herausholen sollte aus seiner Spezialtasche oder nicht - aber nachher kriegte man das Dings nicht wieder zusammen. Noch nie benutzt.
     
    Menschen kamen ihm auf breiter Front entgegen, und auch er schob sich in einer Menschenfront dahin. Hin und wieder teilte sich die Sache und vergurgelte in einem U-Bahnschacht. Manchmal kamen aber auch crowds die Treppe aus der Unterwelt herauf. Schwarze, Weiße, Frauen, Männer, junge Leute mit Hundekoppeln in der Hand, Leute auf Rollschuhen. Trugen sie Pappflügel auf dem Rücken? - Tokio und Uruguay, Paris und Eppendorf. Ein Heruntergekommener fiel ihm auf, ein Mensch, der bessere Tage gesehen hatte, in zerfaserndem Mantel. An einer Ecke stand er, dort, wo es am zugigsten war, mit Gesichtstick und offenem Mund. Er hielt einen Pappkarton über sich, damit er nicht naß wird.
    Das hättest du sein können, dachte Alexander. Marianne, wenn sie nicht darauf gedrungen hätte, daß er allen Leuten seine Manuskripte zeigte? Es war alles ganz gut gelaufen.
     
    Alexander fand das Café«Papa Haydn», in dem er damals mit Jennifer Gesundheitstorte hatte essen müssen. Das Doppelkonzert von Bach schallte bis auf die Straße. Hatte man es für Trompeten bearbeitet?
    Das Warenhaus für Weihnachtsbäume und auch der Krawattenladen. Ein Glas Wasser hatte man ihm gereicht, und Jennifer hatte seine Hand gehalten, ohne allerdings mit der Wimper zu zucken.
    Alexander fand auch das Antiquariat, in dem er das 70/71-Buch gekauft hatte. Aber es war geschlossen. Ein junger Mann, der darin aufräumte, erzählte, der Chef sei aufgeflogen! - Entlaufener Kriegsgefangener aus dem Lager Idaho, fünfundvierzig Jahre unter falschem Namen in New York gelebt! Vom CIC gesucht und nun aufgeflogen. Alexander beschloß, am nächsten Tag das Buch von 70/71 hinzutragen und einfach in die Kiste zu legen. Die Sache hatte sich erledigt.
     
    Er ging zum Friseur, zum«Haarschneider»also, nach vier Wochen war das auch dringend nötig. Kirregaard hatte recht. Der Friseur, ein gutmütiger Schwarzer, unternahm es, ihn in aller Ruhe zurechtzustutzen. Und während er den Klappermann machte, guckte Alexander einem Schuhputzer zu, der seinen Stuhl im Eingang aufgebaut hatte, wie der einem jungen Mann die Schuhe polierte. Schuhputzer und Friseur sprachen freundlich miteinander, please! und thank you! Zeitweilig trat noch ein Dritter hinzu, der Toilettenmann, der holte Kaffee und Zeitung von gegenüber, und dann erzählten sie sich was. Eine gemütliche Sache. So müßte es immer sein, dachte Alexander.
     
    Am Abend würde er zu der Dichterlesung von Anton Willkowski gehen, wenn man nun schon mal aufeinandertrifft; diesem Gefängnismann, der seine Hafterfahrungen in der DDR hatte fruchtbar werden lassen, wie gesagt worden war. Die Zellengitter wären das Schneidzeug gewesen, durch das sich seine Seele preßt, hatte er formuliert, und das überzeugte die Literaturszene in Deutschland von seinem Talent.
    Warum sollte er diesem Mann nicht die Ehre geben?
     
    Der Abend wäre geritzt, aber wie sollte er den langen Nachmittag rumkriegen? Das war die Frage. Sich vorbereiten auf die Fernsehsache mit Achilles? Wie hätte er sich darauf vorbereiten können? Eine Pille zur rechten Zeit, das würde die Sache ins Lot bringen.
    In dem Augenblick wurde er von einem Herrn Dr. Kranstöver angerufen -« Sie kennen mich nicht, aber ich kenne
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