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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse
Autoren: Walter Kempowski
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Sie »-, ob er nicht Lust hätte auf eine Tasse Tee? - Er stamme aus Hamburg, sei dort Direktor des Kunstmuseums gewesen.
    Unverhofft kommt oft! Warum nicht annehmen eine solche Einladung? Hatte er nicht schon darauf gewartet?
    Das Wetter hatte sich verschlechtert, Schnee fiel ohne Unterlaß, was hätte er sonst tun sollen?
     
    Sowtschick rasierte sich und band eine Krawatte um. Dann steckte er nach kurzem Zögern das hölzerne Herz der Amish People in die Tasche. Als Geschenk mochte es seine Wirkung nicht verfehlen.
    Einen Augenblick hielt er es in der Hand. Hatte er sich bei den Amish People wirklich wie ein deutscher Tourist benommen? Doch wohl eher nicht, nicht?
    Er klemmte sich auch noch den himmelblauen Heiligen unter den Arm. Das Ding mit nach Europa nehmen? - Ein abwegiger Gedanke.«Wo haben Sie das denn her …», würden alle Leute fragen. - Zum Kotzen!
     
    Frau Kranstöver holte ihn ab. Jünger noch, ein paar Schneeflocken im kurzen schwarzen Haar, so stand sie im Foyer, lange juchtene Stiefel mit einem goldenen Kettchen über dem Rist, und die Hotelbeamten hinter der Vergitterung starrten sie an. Von einer solchen Frau wären sie auch gern mal abgeholt worden. Was hat sie mit ihm vor?
    Sie stamme eigentlich aus Schweden, sagte die junge Frau,«Bakkre de Vaera», aber doch letztlich aus Hamburg … Kunsthistorikerin, und sie erzählte, daß sie ihn vor vielen Jahren bei einer Lesung erlebt habe. Lange her, zehn Jahre? Buchhandlung Rövekamp in der Poststraße. Ihr damaliger Freund sei ein großer Verehrer von ihm gewesen:«Da müssen wir hin! Da müssen wir hin!»hatte er immer wieder gesagt. Der habe alle Bücher von ihm besessen.
     
    Sie setzte sich eine feine, randlose Brille auf, und sie fuhren mit dem Wagen weich und warm durch den Schnee der Straßen, der nun in Massen, wie geschaufelt, von den Hochhäusern stürzte. Von Ampel zu Ampel fuhren sie, vor denen die Schneeflocken mal rot und mal grün aufleuchteten, in Viererreihen, stoppen, anfahren, stoppen und dann in den Keller eines Hochhauses hinein, wo die Gittertüren automatisch hinauf- und hinuntergelassen wurden. Jonah and the whale! Von einer Suchkamera wurden sie sofort blinkend erfaßt und verfolgt. Wenn Alexander eine Maschinenpistole gezückt oder, umgekehrt, wenn sich jemand auf sie gestürzt hätte, das wäre bemerkt worden.
    Im marmornen Foyer saßen schwergewichtige Wachleute, die unverwandt auf Monitore blickten, schwerste Pistolen im Halfter. Gerade verließen zwei schwarzhaarige Männer mit Persianermütze den Aufzug. So urtümlich sie auch aussahen mit ihren großen schwarzen Schnurrbärten, es hatte seine Ordnung mit ihnen. In diesem Haus bedurfte es nicht mehrerer Türschlösser oder gar irgendwelcher Eisenstangen, die man schräg im Boden verankert. Hier war man direkt mit dem nächsten Polizeirevier verbunden. Falls etwas passierte, brauchte bloß der Knopf gedrückt zu werden.
    Die Wachleute legten die Hand an die Mütze, als die beiden Männer das Haus verließen. Goldzähne hatten sie, das war zu sehen. Alexander hingegen wurde streng gemustert und gestoppt, wohl vor allem wegen seiner sonderbaren Mütze. Was hat dieser Mann hier zu suchen? - Aber er war ja mit Frau Kranstöver gekommen, Appartement Nr. 56, das sah man ja jetzt, da war alles okay. Seinen Paß brauchte er jedenfalls nicht vorzuzeigen.
     
    Im Appartement Nr. 56 kam ihnen Dr. Kranstöver entgegen, schon älter, aber stattlich noch, Hakennase und blauer Wappenring. Nun war Alexander doch sehr froh, noch beim Haarschneider gewesen zu sein! Wie sich alles fügte? Kranstöver nahm ihm den mexikanischen Heiligen ab, stellte ihn in die Ecke zu den Regenschirmen und geleitete ihn in seine terrassenartig gestaltete Wohnlandschaft. An der Wand hingen großformatige moderne Bilder, wie man sie in Industrie- und Handelskammern sieht. Aber auch kleine, goldgerahmte Schätze, von besonderen Lampen angestrahlt. Man hätte sie sich gern genauer angesehen: einen Stuhl heranziehen und das Kinn in die Hand gestützt. Man lief Schlittschuh auf diesen Bildern, das war zu erkennen.
     
    Verschiedene Sessel standen zwanglos umher, ein antiker Tisch voller Papiere (quer obendrauf eine übergroße Lupe), seitlich davon Kunstmappen, eine neben der anderen, und im Kamin brannte ein echtes Feuer.
    «Und so etwas mitten in New York!»sagte Sowtschick, und er war sicher nicht der erste, dem das auffiel. Eine Wendeltreppe führte hinauf zu einer Büchergalerie, unter der kleine,
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