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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre
Autoren: Sue Grafton
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eingetragen.«
    »Mal sehen.« Er legte den Kopf schief und las das Kästchen, auf das ich meinen Daumen hielt. »Oh. Ich muß vergessen haben, das hinzuschreiben. Dad sagt, es muß am 17. August 1944 gewesen sein, weil er sich noch daran erinnert, daß Pappy rechtzeitig zu seiner Geburtstagsfeier nach Hause gekommen ist, als er vier wurde. Er war zwei Jahre weg, also muß er irgendwann 1942 aufgebrochen sein.«
    »Könnte er unehrenhaft entlassen worden sein? Dem zufolge, was hier steht, wäre er nicht berechtigt, wenn das der Fall wäre.«
    »Nein, Ma’am«, sagte Bucky mit Nachdruck.
    »Nur ‘ne Frage.« Ich drehte das Formular wieder um und studierte das Kleingedruckte auf der Rückseite. Das Gesuch um Militärakten nannte verschiedene Adressenlisten der Beauftragten für jede Waffengattung, Definitionen, Abkürzungen, Kennziffern und Datumsangaben. Ich versuchte es auf einem anderen Weg. »Was ist mit der medizinischen Versorgung? Wenn er Kriegsveteran war, hatte er vermutlich Anspruch auf kostenlose ärztliche Behandlung. Vielleicht hat die hiesige Veteranenklinik irgendwo eine Aktennummer für ihn.«
    Bucky schüttelte erneut den Kopf. »Das habe ich schon probiert. Sie haben nachgesehen und keine gefunden. Dad glaubt, daß er nie um Erstattung von Arztkosten ersucht hat.«
    »Was hat er denn gemacht, wenn er krank wurde?«
    »Er hat sich meistens selbst verarztet.«
    »Tja. Mir fällt nichts weiter ein«, sagte ich. Ich gab ihm die Papiere zurück. »Was ist mit seinem persönlichen Nachlaß? Hat er irgendwelche Briefe aus seiner Zeit bei der Air Force aufgehoben? Sogar ein altes Foto könnte Ihnen helfen, herauszufinden, bei welchem Kampfverband er war.«
    »Bislang haben wir noch nichts dergleichen gefunden. Ich habe gar nicht an Bilder gedacht. Möchten Sie mal nachsehen?«
    Ich zögerte und versuchte mein mangelndes Interesse zu verbergen. »Klar, das könnte ich tun, aber da es ja nur um dreihundert Dollar geht, wären Sie offen gestanden vielleicht besser beraten, wenn Sie die ganze Sache fallenließen.«
    »Eigentlich sind es vierhundertfünfzig Dollar mit Beisetzung«, sagte er.
    »Trotzdem. Stellen Sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf, und Sie werden wahrscheinlich feststellen, daß Sie bereits im Minus sind.«
    Bucky reagierte nicht, da ihn mein kleinmütiger Rat offensichtlich nicht überzeugte. Der Vorschlag war womöglich auch eher für mich als für ihn gedacht. Wie sich herausstellte, hätte ich meinen eigenen Ratschlag befolgen sollen. Statt dessen trottete ich schließlich gehorsam hinter Bucky drein, als er durchs Haus ging. Sowas von dämlich. Ich spreche von mir, nicht von ihm.

2

    Ich folgte Bucky zur Hintertür hinaus und die Stufe der Veranda hinab. »Kann es sein, daß Ihr Großvater einen Banksafe hatte?«
    »Nee, das war nicht sein Stil. Pappy konnte Banken nicht leiden und hat Bankern nicht getraut. Er hatte ein Girokonto für seine Rechnungen, aber er besaß keine Aktien oder Schmuck oder irgend so etwas. Er bewahrte seine Ersparnisse — alles in allem etwa hundert Dollar — in dieser alten Kaffeebüchse hinten im Kühlschrank auf.«
    »War nur eine Idee.«
    Wir überquerten den uneben zementierten Autostellplatz bis hin zu der freistehenden Garage und erklommen die steile, unlackierte Holztreppe, die zu einem kleinen Absatz im ersten Stock führte, der gerade groß genug für die Tür zu John Lees Wohnung und ein schmales Schiebefenster war, das auf die Treppe hinausging. Während Bucky seine Schlüssel sortierte, hielt ich eine hohle Hand an das Glas und äugte in die möblierten Räume. Sah nach nicht viel aus: zwei Zimmer mit einer Decke, die sich von einem Firstbalken herabsenkte. Zwischen den beiden Räumen war ein Türrahmen ohne Tür. An einer Wand befand sich ein Einbauschrank, über dessen Öffnung ein Vorhang gezogen war.
    Bucky schloß die Tür auf und ließ sie hinter sich offenstehen, als er hineinging. Eine Hitzewand schien den Eingang zu blockieren wie eine unsichtbare Barriere. Sogar jetzt im November hatte die auf das schlecht isolierte Dach herunterbrennende Sonne das Innere auf stickige dreißig Grad aufgeheizt. Ich blieb auf der Schwelle stehen und nahm den Geruch in mich auf wie ein Tier. Die Luft wirkte dumpf und roch nach trockenem Holz und altem Tapetenkleister. Sogar noch nach fünf Monaten konnte ich Zigarettenrauch und gebratene Speisen wahrnehmen. Noch eine Minute länger, und ich hätte vermutlich feststellen können, was der alte Mann sich als
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