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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt
Autoren: Herbert Dutzler
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„Junger Mann“, sagte sie, ohne den Stein vor ihrer Brust zu bewegen, „ich war selbst nicht zu Hause, als Ferdinand fortging.“ „Wie, fortging?“, fragte Gasperlmaier nach. „Wir wollen ja nicht wissen, wann er fortging, sondern was auf dem Klo passiert ist.“ Die Frau Schnabel mischte sich ein. „Sie meint, als er starb. Meine Mutter drückt sich häufig etwas schwer verständlich aus.“ Gasperlmaier war peinlich berührt und reagierte mit verständnisvollem Nicken.
    „Also, wo waren Sie denn, als er … fortging?“, setzte der Friedrich nun nach, und die Frau Breitwieser zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich? Ich habe ja keine Ahnung, wann er gestorben ist. Wie ich fortgegangen bin, war er noch quicklebendig, hat Bier getrunken und sich auf die Terrasse gestellt, um eine Zigarette zu rauchen.“ Die Missbilligung, die in den Worten der Frau Breitwieser mitschwang, war fast mit Händen zu greifen. Gasperlmaier fiel bei der Wortwahl der Frau Breitwieser auf, dass ihr Mann nun sehr wohl gestorben war, sie dagegen fortgegangen, obwohl sie quicklebendig hier herumsaß. Er entschloss sich, darauf nicht weiter herumzureiten, damit sie in ihrer Befragung weiterkamen. „Wo waren also Sie?“, setzte er etwas genervt fort. Die Frau Breitwieser zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich war einkaufen. Drüben, im Markt. Vielleicht, dass ich eine halbe Stunde weg war.“ Sogar die Frau Breitwieser, dachte Gasperlmaier bei sich, konnte offenbar nicht nur von der Energie ihrer Engel leben, sondern musste, wie jeder andere, auch was Hand­festes zum Beißen einkaufen. Wahrscheinlich, so dachte er hämisch, hat sie sich warmen Leberkäse und Pfefferoni besorgt.
    Plötzlich stand die Frau Breitwieser auf und legte ihren Stein beiseite. Sie stellte die Füße hüftbreit nebeneinander und begann, mit den Armen langsam Kreise in die Luft zu ziehen. Dabei summte sie leise. Der Friedrich und Gasperlmaier sahen sprachlos zu. Nach wenigen Kreisen ließ sie die Arme sinken und lächelte den beiden Polizisten augenscheinlich entspannt zu. „Möchten die Herren vielleicht ein Glas energetisiertes Wasser trinken? Sie werden sehen, das wirkt Wunder!“
    Der Friedrich und Gasperlmaier wechselten be­sorgte Blicke. Was war mit der Frau los? Ihr Mann lag tot im Klo, und sie selbst vollführte Turnübungen und bot Getränke an, als ob es das Alltäglichste von der Welt wäre. Am Ende, so dachte Gasperlmaier bei sich, lebte sie recht glücklich in einer Welt, die von der ihren, spirituell zumindest, ziemlich weit entfernt war.
    Die Frau Breitwieser verschwand in der Küche, die Frau Schnabel folgte ihr mit besorgtem Blick. Gasperlmaier nutzte den günstigen Moment, drückte dem Friedrich den abgerissenen Knopf in die Hand und klärte ihn im Flüsterton über die roten Flecken am Hals des Toten auf. Die Frau Breitwieser kehrte mit zwei Gläsern Wasser zurück, die sich in nichts von dem Wasser zu unterscheiden schienen, das Gasperlmaier auch zu Hause aus der Leitung trank. Sie stellte die Gläser vor den Friedrich und Gasperlmaier hin, verschwand noch einmal und kehrte mit einer Karaffe zurück, die halb mit Wasser gefüllt war und auf deren Boden ein blauer, geschliffener Stein lag. Sie stellte die Karaffe auf den Tisch und deutete auf den Stein. „Das ist ein Amulett des Erzengels Chamuel. Die Schwingungen des Erzengels übertragen sich auf das Wasser, und die Energie des Erzengels wird direkt in Ihr Zellwasser übertragen, wenn Sie es trinken.“
    Gasperlmaier fühlte sich nicht wohl. Die Frau hatte offenbar einen ganz gewaltigen Tick, aber die Art, wie sie sprach, wirkte völlig normal und zusammenhängend, keineswegs verrückt. Die Frau Schnabel, stellte Gasperlmaier mit einem Seitenblick fest, rollte ihre Augen. Gasperlmaier schloss seine Hand um das Glas und warf dem Friedrich einen Blick zu. Der zuckte mit den Schultern, um Gasperlmaier darüber in Kenntnis zu setzen, dass auch er nicht recht wusste, wie er sich jetzt verhalten sollte. Gasperlmaier nahm einen Schluck. Sie saßen jetzt schon eine Viertelstunde hier herum und hatten kaum etwas Sinnvolles erfahren, ihm war vom üppigen Essen und Trinken immer noch nicht ganz gut, und er wollte so bald wie möglich raus hier. Das Wasser schmeckte völlig normal, kühl und wohlschmeckend war ja das Altausseer Wasser immer schon gewesen. Wie hätte es hier mitten in den Bergen auch anders schmecken sollen. Allerdings, so erinnerte sich Gasperlmaier in diesem Moment, waren
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