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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt
Autoren: Herbert Dutzler
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erfüllte ihn das mit Stolz, und das, so fand er, war ein angenehmes, aufheiterndes Gefühl, das er gerne auskostete. Die Skisaison, so dachte Gasperlmaier betrübt, die lag gerade in den letzten Zügen.
    Der Loisl trat mit steinerner Miene an die Grube heran, mit einer einzelnen Rose in der Hand, und Gasperlmaier hatte das Gefühl, als werfe er sie ein wenig heftig, fast zornig in die Grube. Auch das Schäufelchen Erde, das er hinterherwarf, prasselte lauter auf den Sarg als das seiner Schwester. Bald waren Gasperl­maier und seine Mutter an der Reihe. Die Mutter klammerte sich nun noch fester an Gasperlmaiers Arm, als sie direkt vor der Grube standen. „Pfüat di, arme Friedl!“, schluchzte sie, als sie ihre Nelken hinunterwarf. „Hast es nicht leicht gehabt, gell?“ Gasperlmaier fragte sich, ob seine Mutter gedachte, noch länger Zwiegespräche mit der Verstorbenen zu führen, die Situation war ihm peinlich, standen doch sicher noch mehr als hundert Leute hinter ihnen, die auf gleiche Weise Abschied von der Voglreiterin nehmen wollten.
    „Komm jetzt, Mama!“ Sanft versuchte Gasperlmaier, die Mutter vom Grab wegzuziehen, die zunächst ein wenig Widerstand leistete, dann aber nachgab und erst recht hemmungslos zu schluchzen begann. Eigentlich war es immer das Gleiche, ob Hochzeiten oder Todesfälle, ob es sich um nähere Verwandtschaft, Bekanntschaften oder nahezu Fremde handelte – seine Mutter heulte immer, was das Zeug hielt. Fast hatte Gasperlmaier den Verdacht, dass sie oft nur deswegen zu Be­gräbnissen ging, um ihre fast schon zwanghafte Sucht nach emotionalen Elementarereignissen zu befriedigen.
    Eine Viertelstunde später trat Gasperlmaier in die gut beheizte Stube des Schneiderwirts, nahm seinen Hut ab, entledigte sich seines Schladmingers und hängte beides an einen Kleiderhaken. Dann half er seiner Mutter aus ihrem, wie er fand, viel zu dünnen schwarzen Mantel. Er war, so stellte Gasperlmaier fest, völlig durchnässt. „Mama, ich häng dir deinen Mantel zum Heizkörper da hinüber!“ „Danke!“ Gretl Gasperl­maier strahlte ihren Sohn an, nachdem ihre Tränen auf dem Weg vom Friedhof zum Leichenschmaus beim Schneiderwirt endlich versiegt waren. „Bist ein guter Bub!“ Sie trat an Gasperlmaier heran, zog die Kragenenden seines Hemdes zurecht und strich ihm über die Weste. „Ich bin kein Schulbub mehr, Mama!“ Er hasste es, wenn sie an seiner Kleidung herumnestelte, damit sie ihrer Meinung nach richtig saß. Er kam sich vor wie ein Idiot, wenn sie ihn wie ein Kleinkind behandelte, schließlich war er sechsundvierzig Jahre alt, Polizeiinspektor und hatte zwei fast erwachsene Kinder. Nicht einmal die ließen sich bei ihrer Kleidung etwas dreinreden, aber seine eigene Mutter hatte sich noch immer nicht daran gewöhnen können, dass er sich schon alleine anziehen konnte. „Sei doch nicht so empfindlich!“ Die Mutter zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich hab’s doch nur gut gemeint!“ Den Spruch hatte Gasperlmaier auch schon allzu oft hören müssen.
    Um weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, zog er für die Mutter einen Stuhl unter dem Tisch hervor und rückte ihn ihr zurecht. Sie saßen gleich bei den Verwandten, denn die Mutter war jahrzehntelang mit der Voglreiterin befreundet gewesen, seit der Schulzeit schon, und es war so üblich, dass die besten Freunde nahe bei den nächsten Verwandten saßen. Gasperlmaier schüttelte dem Loisl die Hand. Seit der gemeinsamen Schulzeit hatten sie einander mehr oder weniger aus den Augen verloren. Der Loisl lebte zwar noch in Altaussee, pendelte aber täglich zu irgendeinem Betrieb in Liezen und hatte wenig Kontakt zu den Vereinen und Stammtischen im Ort. Er hatte nach der Hauptschule die HTL besucht und war jetzt Ingenieur, erinnerte sich Gasperlmaier.
    Die Kellnerin kam mit einem Tablett voller Bierseideln, und Gasperlmaier nahm sich eines davon. „Prost, Loisl!“ Der Angesprochene stieß sein Glas mit finsterer Miene gegen das Gasperlmaiers. Mit einem langen Zug leerte dieser es bis zur Hälfte. Das hatte er sich nach dem Herumstehen in der Kälte redlich verdient, fand er. „Ah!“, entfuhr es ihm, und er wischte sich über die Lippen. Die Mutter sah ihn missbilligend von der Seite her an. „Trink nicht so schnell! Das ist ja kein Stammtisch, sondern ein Leichenschmaus!“, zischte sie ihm zu. „Ja, ja!“, beschwichtigte er, während sich ein schlanker, eleganter Herr der Mutter gegenüber hinsetzte. „Kennst mich noch,
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