Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt
Autoren: Herbert Dutzler
Vom Netzwerk:
grauenerregend zugerichteter Leichen war er in der Regel nicht gewachsen, da spielte sein Magen nicht mit. Er wusste das aus leidvoller Erfahrung von früheren Ermittlungen. Die Tochter schob ihn durch ein recht enges Vorhaus auf eine offen stehende Tür zu. „Ich bin auch gerade erst gekommen! Ich hab noch gar nichts tun können!“ Hinter der Tür sah Gasperlmaier schon das Malheur. Zunächst gewahrte er nur einen vor der Klomuschel knienden Mann im schwarzen Anzug, der aussah, als habe er sich nach übermäßigem Alkoholkonsum übergeben müssen. Die Hose hing herab, sodass das blanke Hinterteil zu sehen war.
    Gasperlmaier wollte sich schon entrüstet abwenden und der Tochter die Leviten lesen. Bloß weil der Vater betrunken heimgekommen war und es doch immerhin noch bis aufs Klo geschafft hatte, musste man nicht gleich hysterisch nach der Polizei rufen. Die Tochter aber hinter ihm schrie: „Er ist tot! Tot!“ Gasperlmaier wurde ein wenig unwohl. Sich umwendend suchte er Beistand beim Friedrich, der aber plötzlich verschwunden war. Also drängte er sich in der engen Toilette am Körper des Mannes vorbei und stellte fest, dass sein Kopf tief in der Muschel steckte, so tief, wie es nur ging, genau über dem Abfluss. Das Wasser war zwar abgelaufen, die nassen Haare des Toten allerdings verrieten, dass sein ganzer Kopf unter Wasser gewesen sein musste.
    Gasperlmaier wusste, dass er nun den Puls zu fühlen hatte, um sicherzugehen, dass der Tote nicht etwa doch noch einen Funken Leben in sich hatte. Er drängte sich wieder nach draußen und sah nach dem Friedrich, den er um ein Paar Handschuhe bitten wollte. Seine Uniform und Ausrüstung hatte er ja nicht dabei, und einen Toten mit den nackten Händen anfassen, das war Gasperlmaiers Sache nun nicht unbedingt. Er fand ihn auf den Stufen der Treppe in den ersten Stock sitzend vor. Neben ihm stand die Tochter des Toten, immer noch in ihre Papiertaschentücher schluchzend. „Wennst wenigstens Handschuhe für mich hättest!“ Der Friedrich ächzte, als er in den Taschen seines Uniformrocks danach suchte. Es dauerte eine Weile, bis er Gasperlmaier ein Paar Latexhandschuhe hinhielt. Der musste sich neuerlich an dem knienden Toten vorbeidrängen, streifte die Handschuhe über und langte in die Toilettenschüssel. Die mehreren Seideln Bier und die paar Schnäpse, ebenso wie das Rindfleisch samt dem Semmelkren, drängten nach oben, doch Gasperlmaier konnte seinen Magen mit ein paar tiefen Atemzügen beruhigen. Er tastete nach dem Hals des Toten, fühlte dort aber keinerlei Puls. Gasperlmaier konnte den Anblick des halbnackten Toten nur schwer ertragen und dachte sich, er könnte ihm auch gleich die Hose hinaufziehen, wo er schon die Handschuhe anhatte. Es musste ja nicht sein, dass die Tochter diese zusätzliche Peinlichkeit ertragen musste, dass der Vater halb entkleidet aus dem Haus hinausgetragen wurde. Mit ein paar kräftigen Rucken hatte er die Hose bis auf die Hüfte gezogen, wobei der Tote ein wenig zur Seite rutschte. Als er den Hosenbund zuknöpfen wollte, bemerkte er, dass dort der Knopf fehlte. So begnügte er sich damit, den Gürtel zuzuschnallen, und selbst das war mühsam genug. Gasperlmaier geriet, halb auf dem Körper des Verstorbenen liegend, ins Schwitzen. Plötzlich sah er, wo der Hosenknopf hingekommen war: Er lag direkt vor der Kloschüssel auf dem Boden. Gasperlmaier hob ihn auf und drehte ihn zwischen seinen Fingern. Ob es der Ferdinand Breitwieser so eilig gehabt hatte, aufs Klo zu kommen, dass er sich den Knopf selbst abgerissen hatte? Oder ob da vielleicht jemand nachgeholfen hatte? Er musste den Knopf jedenfalls dem Friedrich zeigen.
    Gasperlmaier richtete sich auf, streifte die Handschuhe ab und warf sie in den kleinen Mistkübel, der direkt zu seinen Füßen stand. Was hier wohl geschehen war? War der Mann, der nur noch wenig graues Haar besaß, auf der Toilette zusammengebrochen und verstorben, als er gerade dabei gewesen war, sein Wasser abzuschlagen? Da fragte sich Gasperlmaier aber schon, wie es dann kam, dass die wenigen verbliebenen grauen Haarsträhnen nass waren. Er konnte ja kaum ins Klo gefallen sein und danach die Spülung betätigt haben. Gasperlmaier besah sich den Kopf der Leiche noch einmal genauer und meinte, am Nacken deutliche rote Abdrücke wahrzunehmen. Gewiss, solche konnte man auch von einem zu engen Hemdkragen bekommen, aber konnte es nicht auch sein, dass der Mann gewaltsam in die Kloschüssel gedrückt worden war?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher