Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Lettie Peppercorn und der Schneehaendler

Titel: Lettie Peppercorn und der Schneehaendler
Autoren: Sam Gayton
Vom Netzwerk:
zu.

9. Kapitel
    Ein Zylinder wünscht, ausgeliehen zu werden

    In Gedanken an ihre versteinernden Füße ging Lettie so schnell wie möglich durch Tauschdorf. Sie versuchte dabei lieber auf Seetang und Fischköpfe zu treten als auf das Kopfsteinpflaster. Der Wind frischte auf, aber er war Lettie nun kein Trost mehr, nur ein kaltes Ärgernis. Ihr Vater steckte, vor den Blicken der betrunkenen Matrosen verborgen, tief in ihrer Tasche. Sie wollte vermeiden, dass jemand am Ende auf die Idee kam, ihn auszutrinken. Aber die Gassen waren ohnehin fast menschenleer.
    »Na so was?«, drang plötzlich eine Stimme aus einer Tür. »Die Gastwirtin ist wieder da.«
    Es war Mr Schaad, der Holzhändler. Er stand im Eingang einer großen, gemütlich aussehenden Kneipe namens Zur Feilschenden Frances , zu seinen Füßen lag eine große Axt. In den Händen hatte er eine dampfende Tasse Khave, ein flauschiger grauer Bart zierte sein Kinn und ein Zylinder seinen Kopf.
    »Ganz recht«, sagte Lettie. »Ich bin wieder da.«
    »Hatte mich schon gewundert, wohin du und dein Vater verschwunden seid.«
    »Wir waren auf See.«
    »Hmm.« Mr Schaad strich sich über den Bart und tippte mit dem Fuß auf den Boden. »Schatzsuche oder wie?«
    »So ungefähr. Ich habe meine Mutter gesucht.«
    »Ah«, sagte der Mann und hielt seinen Zylinder fest, damit er nicht vom heftigen Wind davongeweht wurde. »Und, hast du sie gefunden?«
    »Ja«, sagte Lettie. »Aber dann ging sie wieder verloren, und mein Vater ist immer noch eine Flasche. Also bin ich wieder ganz auf mich allein gestellt.«
    Mr Schaad sah sie besorgt an. »Hast du nicht wenigstens ein paar Freunde, bei denen du wohnen könntest?«
    »Mein bester Freund lebt im Meer.«
    Mr Schaad nippte nachdenklich an seiner Tasse. »Und dein zweitbester Freund?«
    »Ist eine Taube.«
    »Ah, schade.«
    »Ich wette, er wartet zu Hause auf mich. Ich geh dann mal lieber. Wenn ich noch lange auf den Steinen stehe, verwandele ich mich auch bald in einen!«
    »Keine schöne Vorstellung«, sagte Mr Schaad und beugte sich noch ein Stück aus dem Kneipeneingang heraus. »Also, meine Liebe, wenn dir irgendwann zu kalt wird da oben in deinem Stelzenhaus, dann lass es mich auf jeden Fall wissen. Ich bring dir gern eine Ladung Feuerholz vorbei. Kostenlos natürlich.«
    Lettie ging winkend davon. »Danke! Wiedersehen!«
    »Jederzeit gern«, rief Mr Schaad ihr herzlich hinterher. »Bis dann!«
    Er nahm seinen Hut ab und wollte ihn beiseitelegen. Doch dann kam eine Windböe auf, erfasste den Hut und riss ihn dem Mann aus den Händen.
    »Oh!«, rief Mr Schaad, als sein Zylinder im Straßengraben landete.
    »Ich hole ihn«, sagte Lettie und rannte los.
    » Psst! «
    Wie angewurzelt blieb Lettie stehen. Was war denn das? Der Wind?
    » Pssst! «
    Was immer es auch war – es kam aus dem Inneren des Zylinders.
    »Lettie!«
    Lettie ließ eine Hand hervorschnellen und hielt den Hut am Boden fest. Auf einmal wummerte ihr das Herz in der Brust. »Mama?«
    »Hast du meinen Hut gefangen?«, rief Mr Schaad aus dem Hauseingang. »Könntest du ihn mir bitte bringen?«
    Lettie hob den Hut auf, hielt die Öffnung so gut wie möglich zu und zeigte ihn dann Mr Schaad.
    »Hallo«, sagte der Zylinder.
    Der alte Mr Schaad, der gerade an seiner Tasse nippte, zuckte so heftig zusammen, dass er sich den Khave über den Bart kippte.
    »Nicht erschrecken«, sagte der Hut. »Ich wollte nur sagen, ich lasse mich jetzt für eine Weile ausleihen.«
    »W-was?«, stammelte Mr Schaad. »Wieso?«
    »Woher soll ich das wissen?«, rief der Zylinder. »Ich bin doch nur ein Hut. Ich entscheide nicht darüber, wie lange mich jemand trägt. Sind Sie verrückt oder einfach nur dämlich?«
    Der alte Mr Schaad starrte den Hut verdutzt an. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du reden kannst.«
    »Ich auch nicht«, erwiderte der Zylinder. »Aber dann kam dieses Mädchen daher, und jetzt weiß ich nur, dass ich mich ausleihen lassen muss. Und ich war noch nie jemand, der sich seinen Pflichten entzogen hätte. Also – ich werde gebraucht!«
    »Aber du passt ihr doch gar nicht!«, protestierte Mr Schaad. »Sie hat einen winzig kleinen Kopf!«
    »Also wirklich!«, schimpfte der Hut. »Das ist unverschämt! Ich hab mich doch auch nie über die Größe Ihres Kopfes beschwert. Oder über Ihre Haarschuppen. Oder die Tatsache, dass Sie seit siebenundfünfzig Jahren den gleichen Haarschnitt tragen. Oder dass Sie damals das Kreuz-Ass unter mir versteckt und beim Kartenspielen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher