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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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Penny weiterverkaufte, verdiente sie im schlechtesten Fall einen Shilling, meistens aber mehr, besonders wenn die Sonne schien und die Herren ihr Trinkgeld gaben. Glücklicherweise war es heute sonnig, der Frost schmolz langsam dahin, und es versprach, ein guter Tag zu werden.
    Die meisten Mädchen waren jünger als Matilda, manche zählten gerade erst neun oder zehn Jahre. Viele von ihnen liefen barfuß, fast alle waren noch schmutziger und verwahrloster als Matilda, und ein Mädchen war sogar verkrüppelt. Wie gewöhnlich wurde nicht viel gesprochen; sie nickten nur und lächelten sich an, wenn jemand Neues zur Gruppe stieß. Als Matilda vor sechs Jahren angefangen hatte, Blumen zu verkaufen, hatte diese Stille sie beinahe aus der Fassung gebracht, aber heute konnte sie sich das Schweigen erklären. Jedes Mädchen hätte eine traurige Geschichte ihres Unglücks erzählen können. Doch sie ähnelten sich so sehr, dass sie keiner hören wollte. Sie versammelten sich hier morgens nur, um ein wenig Trost aus der Gesellschaft gleich Gesinnter zu ziehen, das genügte ihnen.
    Manchmal half Matilda den Jüngeren beim Binden ihrer Sträuße. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, wie schwer sie selbst es anfangs gefunden hatte, die Blumen auf hübsche Art zusammenzulegen. Dennoch vermied sie ansonsten tiefer gehende Kontakte. Manchmal erkannte sie unter den neuen Gesichtern der Mädchen eines, dessen ältere Schwester sie vor Jahren gekannt hatte, aber sie hatte gelernt, sich nie nach ihnen zu erkundigen. Es war keine Seltenheit, dass Blumenmädchen mit etwa vierzehn Jahren der Prostitution verfielen.
    Um acht Uhr begann Matilda ihre Runde über den Haymarket in Richtung Piccadilly. Diesen Teil Londons fand sie besonders merkwürdig, da er sich im Laufe des Tages so stark veränderte. Jetzt, am Morgen, eilten Verkäuferinnen und Geschäftsleute zur Arbeit und liefen an Straßenfegern und Bettlern vorbei. Sie hatte Glück, wenn sie zu dieser Zeit ein paar Sträuße verkaufen konnte, denn meistens waren die Leute zu beschäftigt, um anzuhalten. Gegen Mittag erschien plötzlich eine andere Klasse von Menschen, feine Damen und Herren stiegen aus Kutschen und gingen einkaufen oder zum Mittagessen. Auch zeigten sich Schwärme junger, hübscher Mädchen, die darauf hofften, von einem Gentleman angesprochen zu werden. Bis vor ein paar Jahren hatte Matilda diese frisch vom Lande kommenden Mädchen mit ihren modischen Kleidern, zierlichen Stiefeln und blumenbesetzten Hüten beneidet. Aber wie geschockt war sie gewesen, als sie gehört hatte, dass es »leichte Mädchen« waren, wie man hier die Prostituierten nannte. Am Abend öffneten dann die Theater und die Bars, und zu diesem Zeitpunkt war der Haymarket noch lebendiger und bunter als sonst.
    Damen in weiten Reifröcken und mit kostbaren Juwelen stiegen aus den Kutschen, begleitet von Herren mit Frack und Zylinder. Schwertschlucker, Spieler und Jongleure belagerten die Gegend, und die Luft war vom Duft gerösteter Mandeln erfüllt. Aus jeder Ecke tönte Musik, und Sänger und Straßenmusikanten konkurrierten um die Pennys der Passanten.
    Dennoch war die geschäftige Oxford Street ein besserer Ort, um Blumen zu verkaufen, und hierhin wollte sie heute gehen. Sie wusste, dass die Sonne Einkäufer anlocken würde, und der Anblick frischer Frühlingsblumen lockerte sogar die Geldbörsen der sparsamsten Hausfrauen. Mit ein bisschen Glück würde sie alle ihre Sträuße um zwei Uhr nachmittags verkauft haben.
    Um ein Uhr war ihr Lächeln längst kein gezwungenes mehr. Sie hatte nur noch vier Sträuße übrig, und drei Mal hatten Männer ihr am Morgen ein Sixpencestück gegeben, ohne Wechselgeld zu verlangen. Matilda störte sich nicht an ihrem Hunger und Durst, da sie genug Geld in ihrer Schürze hatte, um auf dem Weg nach Hause eine Portion Fleischpastete und eine Flasche Ingwerlimonade kaufen zu können.
    Matilda bewegte sich gerade über den Bürgersteig auf die Straße zu, als ihr Blick zufällig auf ein kleines Kind fiel, das aus einem Geschäft gelaufen kam und zielstrebig auf die Straße zurannte. Es war ein hübsches kleines Mädchen zwischen zwei und drei Jahren. Dunkle Locken quollen unter seinem weißen Hut hervor, sein Kleidchen war mit einem rosafarbenen Volant besetzt und seine Schuhe waren mit weißer Spitze verziert. Die Kleine war eindeutig ihrer Mutter oder dem Kindermädchen davongelaufen.
    Trotz seines langen Kleides bewegte sich das Kind sehr rasch, und obwohl lauter
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