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Lesereise Schweiz

Lesereise Schweiz

Titel: Lesereise Schweiz
Autoren: Beate Schuemmann
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Wenn die Temperaturen auf dem Balkon unter fünf Grad sinken, muss das Fleisch reingeholt und am nächsten Tag wieder rausgehängt werden. Man muss das Wetter im Gespür haben und sofort reagieren. Das macht Brügger zum Marathonläufer im eigenen Hause. »Aber genau das macht das Naturtrocknen so faszinierend, und nur wenige können es.« Wie es funktioniert, hat Brügger von seinem Vater gelernt. Denn eine Ausbildung gibt es dafür nicht.
    Im dunklen Trockenraum hängen die Fleischbrocken wie Fledermäuse von der Decke. Drei Monate, die großen manchmal bis zu fünf Monate. In dieser Zeit verlieren sie rund die Hälfte ihres Gewichts. Abhängig vom Grad der Trocknung verändert sich die Farbe. Erst kommen fast schwarze Schattierungen, dann legt sich allmählich eine weiße Schicht essbaren Edelschimmels wie Patina auf die Oberfläche. »Ist ein Stück außen richtig schön weiß, kann ich sicher sein, dass es auch innen gut wird«, erklärt der Fachmann. Ist das erreicht, legt er das Fleisch in die Presse, wo es seine charakteristische Form erhält – dreimal. Jeder Pressvorgang dauert drei Nächte. Dann ist die Kulinarie fertig. Exportieren darf Brugger das Fleisch nicht. Aus solchen Bestimmungen macht er sich nichts, denn er weiß seine besten Kunden unter den Skiläufern, Carvern, Langläufern und Wanderern. Und die kommen gern in Alphütten wie das »Fops«.

Dichter, schneller, weiter
Lord Byron am Genfersee
    Lord Byron kam nicht zufällig an den Genfersee und, wenn man es genau nimmt, auch nicht ganz freiwillig. Sein literarischer Ruhm hatte ihn zwar zum Star der Londoner Gesellschaft gemacht. Als aber zur Liaison mit seiner Halbschwester Augusta ein uneheliches Kind und eine gescheiterte Ehe, homosexuelle Eskapaden und immer mehr Gläubiger hinzukommen, wird das Denkmal vom Sockel gestürzt. Die soziale Ächtung ist vollkommen.
    Am 23. April 1816 flieht George Gordon Byron, Baron von Rochdale. Es wird eine Reise ohne Wiederkehr, möglichst weit weg, weit über den Ärmelkanal hinaus. Reisen war im 19. Jahrhundert ein Privileg. Wer hatte schon eine Kutsche, die dafür nötigen Pferde und Diener? Byron rüstet seine Karosse in einem günstigen Moment, da die Blockade Englands erst kurz zuvor durch den Sturz Napoleons aufgehoben worden war. So kann er mit einer eigens angefertigten Kutsche ungehindert Frankreich passieren. Als Lektüre hat der Achtundzwanzigjährige das Buch »La Nouvelle Héloïse« im Gepäck, das der Dichter-Philosoph Jean-Jacques Rousseau 1761 geschrieben hatte. Ein herzzerreißender Liebesroman, der in aufklärerischer Weise das Genfersee-Gebiet beschreibt und halb Europa romantisch werden lässt. Auch Byron ist infiziert und will den zweiundsiebzig Kilometer langen und dreizehn Kilometer breiten See zwischen den Savoyer Alpen und der Schweizer Riviera sehen.
    Gut einen Monat später erreicht er Sécheron bei Genf. Doch nicht die damals schon ziemlich quirlige Metropole am »Petit Lac« im Westen des Sees interessiert ihn, obwohl Genf eine reiche Geschichte als Sitz von Bischöfen, Kaisern, Geldadel, lange nach seiner Zeit auch des Völkerbunds, der UNO , von Edelboutiquen und Luxushotels hat. Den Naturfreund faszinieren Wasser und Berge.
    Hotels sind zu Byrons Zeiten Mangelware. Er steigt in der einzigen »Auberge de Sécheron« am heutigen Quai du Mont-Blanc 17 ab, ein Schild am Haus erinnert heute daran. Beim Einchecken trägt er sich in die Hotelliste ein und liest zu seinem Entsetzen viele jener Namen, die er schon in England gern gemieden hat.
    In der Herberge begegnet er aber seinem Dichterkollegen Percy Bysshe Shelley, einem Geistesverwandten. Beide hassen Gesetze, Verträge, wie überhaupt alle Konventionen. Als Gesetz anerkennen sie nur die Liebe und die Natur. Und Letztere zeigt sich vom Parkhügel Perle du Lac, wo das Hotel lag, von ihrer besten Seite: den »See der Schönheit«, wie Byron ihn tauft, zu Füßen und dahinter der majestätische Mont Blanc.
    Als die Freunde auf die andere Seeseite ziehen, um dem Geschwätz der Landsleute zu entgehen, stellt Hotelier Dejeau ein Teleskop auf, damit seine klatschsüchtigen Gäste den Exzentriker weiter beobachten können. Byron hat im Nobelvorort Cologny die auf einem Alpenausläufer liegende Villa Diodati gemietet, die bald zum Künstlertreff wird. Unweit der Privatvilla zeigt heute einer der schönsten Genfer Aussichtpunkte den Blick, den der Dichter täglich genoss: das elegant in der Rhône-Bucht liegende Genf und ihr
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