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Lesereise Schweiz

Lesereise Schweiz

Titel: Lesereise Schweiz
Autoren: Beate Schuemmann
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Zimtbaum- und Lorbeerblätter, Fossilien von Meeresmuscheln, Seesternen, Meerbrassen und Haifischzähnen, ja sogar im Gestein eingeschlossene Skelettteile und Hautschuppen von Krokodilen belegen das.
    Die Geschichte des Gletschergartens geht mehr als hundert Jahre zurück. 1872 hatte der Banker Joseph Wilhelm Amrein-Troller einen damals außerhalb Luzerns liegenden Steinbruch erworben, um sich einen Weinkeller einzurichten. Bei den ersten Aushubarbeiten stießen die Arbeiter auf eine seltsame beckenförmige Vertiefung im Fels, mit kräftigen, parallel verlaufenden Schrammen auf der Oberfläche. Experten wurden geholt, die den Fund als Gletschertopf und die Schrammen als Spuren der Eiszeit deuteten. Amrein-Troller nahm von weiteren Sprengungen Abstand und ließ die Fundstellen untersuchen. Unter einer Moränen- und Pflanzendecke wurden so zwischen 1872 und 1876 zahlreiche Gletschertöpfe, Findlinge und Gletscherschliffe zum Vorschein gebracht, ein ganzer »Gletschergarten«. Wissenschaftler sprachen von einer »geologischen Sensation«.
    Zwanzig Millionen Jahre Erdgeschichte – eine kaum fassbare Größenordnung. Unter einem gewaltigen Membranzelt erinnert das Naturdenkmal in Luzern an die Entwicklung vom Palmenstrand zur Gletscherwelt und damit an einen dramatischen Wandel von Landschaft und Klima. Auf der Fläche von achthundert Quadratmetern haben Geologen etwa dreißig Gletschertöpfe gezählt. Gut zu erkennen sind für das ungeschulte Auge allerdings nur die zwölf größten. Der mächtigste Topf misst neuneinhalb Meter Tiefe und hat einen Durchmesser von acht Metern, der zweitgrößte ist vier Meter tief. Unter den zahlreichen Findlingen, die der Reuss-Gletscher bis nach Luzern geschoben hat, finden sich rund zwanzig mit einem Gewicht von mehr als fünfhundert Kilogramm, die meisten rund geschliffen wie Kugeln. Findlinge oder »erratische Blöcke« sind Steine, die an Orten gefunden werden, wo sie eigentlich nicht hingehören. Das Umfeld des Luzerner Gletschergartens besteht aus grauem Sandstein, die Findlinge dagegen sind aus hellgrauem Schrattenkalk, braunem Kieselkalk und körnigem Granit; alle stammen aus den Alpen. Aus dem größten Gletschertopf wurde ein Kieselkalkblock geborgen, der mehr als sechs Tonnen wiegt und dessen Alter auf hundertdreißig Millionen Jahre datiert wird.
    »Klimawandel ist dauernd«, heißt die Botschaft im Luzerner Gletschergarten. Die beeindruckenden Gletschertöpfe zeugen von der letzten Eiszeit vor zwanzigtausend Jahren und belegen, dass Luzern damals von Gletschern bedeckt war. Die Gletschertöpfe, auch »Gletschermühlen« genannt, sind die vielleicht sonderbarsten Phänomene der eiszeitlichen Vergletscherung, die vor zwanzigtausend Jahren ihren letzten Höhepunkt erreicht hat. Sie entstehen, wenn Gletschereis durch Sonneneinstrahlung und warme Luft sowie durch die Druckwärme der Eislast schmilzt. Immerhin produziert eine Gletscherfläche von einem Quadratkilometer im Sommer rund zweihundertfünfzig Liter Schmelzwasser pro Sekunde. Während der Eiszeit lag diese Menge um ein Vielfaches höher, als heutzutage Wasser vom Vierwaldstättersee in die Reuss fließt. Das sich sammelnde Schmelzwasser konnte sich in einen reißenden Strom verwandeln. Unter der Wucht seiner Masse und Geschwindigkeit zwang es sich durch Spalten und Klüfte ins Innere eines Gletschers und höhlte, von der Sogkraft herumgewirbelt, den Fels aus. Fachleute sprechen von »auskolken«.
    Das Ganze spielt sich am Grund des Gletschers ab, wo Druckverhältnisse von zwanzig Atü und Geschwindigkeiten bis zu zweihundert Stundenkilometer gemessen werden. Die enorme Druckkraft der Wasserwirbel erklärt die spiralförmig in die Tiefe laufenden Rinnen an den Topfwänden, wie sie im Gletschergarten zu sehen sind. Doch auch ein Symbol für die graue Urzeit von vor Jahrmillionen wie der Gletschergarten muss im elektronischen Zeitalter bestehen. »Es ist das Bedürfnis der Menschen, nicht nur intellektuell und zeitgemäß, sondern auch sinnlich zu entdecken und zu erleben«, erklärt Peter Wick, Geologe und ehemaliger Direktor des Gletschermuseums. Er wandelte das steinerne Naturdenkmal in einen multimedialen Erlebnispark um und engagierte dazu eigens den österreichischen Mediendramaturgen Christian Mikunda. Unter der hohen Zeltkuppel liegt der Schlüssel zur Luzernischen Erdgeschichte. Kaum nachvollziehbare erdgeschichtliche Vorgänge werden hier mittels interaktiver Informationssysteme und Multimediashows spannend
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