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Lesereise Schweiz

Lesereise Schweiz

Titel: Lesereise Schweiz
Autoren: Beate Schuemmann
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Wahrzeichen, die hundertvierzig Meter hohe Fontäne »Jet d’Eau«.
    Am 22. Juni 1816 starten Byron und Shelley ihre Segeltour zu den Stätten von Julie und Saint-Preux, den Hauptfiguren in Rousseaus Roman. Was seinerzeit ein sorgfältig vorzubereitendes Abenteuer war, ist heute mit den Schiffen der Genfer See Gesellschaft eine bequeme Tagestour. Von Yvoire, Evian und Meillerie reihen sich zahllose landschaftliche Glücksmomente. Bis die beiden bei St. Gingolph in Unwetter geraten und fast ertrinken.
    Endlich gehen sie bei Schloss Chillon am Ende des östlichen »Haut-Lac« vor Anker, dem ersehnten Höhepunkt des Törns. Schon von Weitem imponieren die mächtigen Mauern, mehr Burg als Schloss, die auf die kleine vorgelagerte Felseninsel gebaut sind. Am stärksten ergreift den Dichter jedoch, dass im feuchten Verlies der Genfer Freiheitsheld François Bonivard 1530 sechs Jahre lang schmachten musste, weil er dem Herzog von Savoyen getrotzt hatte. Byrons freiheitsliebendes Künstlerherz rebelliert.
    Zur selben Zeit entwickelt sich Chillon zu einem Wallfahrtsort. Der englische Adel, Künstler, Komponisten und Schriftsteller kommen, auch Goethe und Richard Wagner. Das Bauerndorf Montreux hält dem Ansturm kaum stand. Noble Hotels wie das »Suisse-Majestic« sprießen aus dem Boden. 1888 geht die elektrische Straßenbahn nach Chillon in Betrieb. 1912 zählt Montreux siebenundachtzig Hotels mit siebentausendeinhundertfünfundzwanzig Betten. Inzwischen ist die Bettenzahl auf die Hälfte geschrumpft, obwohl die Schloss-Statistik rund dreihunderttausend Besucher im Jahr errechnet.
    Dass die romantische Zeit der Postkutschen vorbei ist, geben einem die direkt an der Festung vorbeidonnernden Güterzüge zu verstehen. Auch die in den Hang über die Burgtürme hineingebaute Autobahn ist ein Produkt des 20. Jahrhunderts. Wer Seiner Lordschaft in Chillon auf die Spur kommen will, besucht außer Burgküche, Waffenkammer und Kapelle natürlich vor allem den Kerker und jene Säule, an der Bonivard angeblich angekettet war. Der gerahmte Name » B.YRON « steht an der dritten Säule vom Eingang aus, zusammen mit vielen anderen eingekerbten Namen von Gefangenen oder Liebenden. Auf der promenade des poètes, dem »Spazierweg der Dichter«, der sich am Seeufer zwischen Montreux und Vevey erstreckt und über fünfundzwanzig »Dichterbänke« verfügt, kann sich der Musen-Fan in Territet, östlich von Montreux, auf die Lord-Byron-Bank setzen, auf Knopfdruck Texten in der eigenen Sprache lauschen und dabei die Berglandschaft bewundern, die sich seit Byrons Zeiten kaum verändert hat.
    Byron und Shelley segeln über Clarens, wo Julies Wohnhaus stand, weiter Richtung Lausanne, der Stadt mit der frühgotischen Kathedrale Notre Dame. Wieder zwingt ein Sturm sie zum Anlegen. In Ouchy logieren sie im »L’Ancre«, dem heutigen »Hotel Angleterre«. Vermutlich in Zimmer Nr. 18 im zweiten Stock dichtet Byron quasi über Nacht seine Ballade »Der Gefangene von Chillon«, aufgewühlte, wortgewaltige Verse gegen Tyrannei und für die Liebe. Er schickt sie seinem Verleger John Murray Ltd. in London, der die Hymne an die Freiheit sofort veröffentlicht.
    »Chillon! Dein Kerker soll ein Gotteshaus
und ein Altar dein finstrer Boden sein!
Denn auf den kalten Fliesen deines Baus
Bis seines Fußes Spur gehölt den Stein
Schritt Bonivard! – Löscht nie die Spuren aus
die wider Tyrannei gen Himmel schrein!«
    Als es Herbst wird, geht auch Byrons Aufenthalt in der Schweiz zu Ende. Am 5. Oktober 1816 reist er weiter nach Italien.

Die Wahrheit liegt im Wahn
Nonkonforme Kunst der Collection de l’Art Brut in Lausanne
    »Wir sind ein Anti-Museum«, sagt Michel Thévoz, Kurator der Sammlung l’Art Brut in Lausanne, und es klingt ein wenig Provokation in seiner Stimme mit. »Normale« Kunst sei bei ihm nicht zu sehen. Die Bilder und Skulpturen hier sind anders, fremdartig. »Art brut« bezeichnet spontan und unreflektiert gestaltete Kunst. Thévoz definiert sie so: »Es ist Kunst jenseits von jeglichem sozialen und kulturellen Konformismus.« Von Menschen geschaffen, die aus irgendeinem Grund der gesellschaftlichen Konditionierung entgingen. Zu diesen Nonkonformisten rechnet er Eigenbrötler, Sonderlinge, Patienten psychiatrischer Kliniken, Gefängnisinsassen, Anarchisten, extreme Individualisten – Außenseiter aller Art.
    Die Schöpfer der Kunstwerke verstanden sich selbst nie als Künstler; sie sind Autodidakten. In der Stille, im Geheimen oder getrennt von
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