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Lesereise Schottland

Lesereise Schottland

Titel: Lesereise Schottland
Autoren: Ralf Sotscheck
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anschließenden Wettkämpfen.
    Die Hochlandschotten maßen gerne ihre Kraft. Jeder Ort hatte einen stone of strength , einen besonders schweren Brocken, der auf dem Dorfplatz aufbewahrt wurde. Jeder, der vorbeikam, konnte versuchen, ihn zu stemmen. So mancher Stein hat Berühmtheit erlangt, wie das zweihundertfünfundachtzig Pfund schwere Trumm, das in Inver bei Braemar besichtigt werden kann, oder der putbrach vor dem Friedhof in Balquhidder. Ein Stammeskrieg war freilich nicht nur mit Kraft zu gewinnen. Zuerst mussten die versprengten Clanmänner zusammengetrommelt werden. Das geschah mit dem crann-tàra, dem Feuerkreuz. Es war ein Holzkreuz, das an einem Ende mit einem blutgetränkten Leinentuch umwickelt und am anderen Ende angezündet wurde. Die Läufer strömten in alle Richtungen aus, um die Kunde vom Krieg zu verbreiten und die Zusammenkunft vorzubereiten. Wenn man ein brennendes Holzkreuz in der Hand hält, muss man flink sein. So wurde der Wettlauf wichtiger Bestandteil der Sportkämpfe.
    Was ist aber ein Sieg auf dem Schlachtfeld, wenn die Nachwelt davon nichts erfährt? Die clan chiefs förderten die piper, die Dudelsackspieler, die seit dem 16. Jahrhundert die bis dahin dominierenden Harfenisten in der Gunst des Publikums überflügelt hatten. Ihre Aufgabe bestand nicht nur darin, ohrenbetäubende Musik zu machen, sondern sie waren auch für die Kriegschronik zuständig. Manch vergangene Schlacht lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren, weil die gegnerischen piper es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen und ihren eigenen clan ins beste Licht rückten.
    Nach Culloden war es aus und vorbei. Es dauerte sechsunddreißig Jahre, bis die strikten Gesetze, mit denen die Hochlandschotten gefügig gemacht werden sollten, wieder aufgehoben wurden. Großen Anteil daran hatte die Lobbyarbeit der Highland Society of London, die 1778 von schottischen Exilanten gegründet worden war. Das Dekret, das kilt und Dudelsack wieder zuließ, wurde in den Highlands in Gälisch an den Bäumen angeschlagen: »Hiermit teilen wir allen gälischen Söhnen mit, dass König und Parlament von Britannien das Gesetz gegen die Kleidung der Highlander, die den clans vom Beginn der Zeit bis 1746 gegeben war, für immer aufgehoben haben. Das erfreut das Herz eines jeden Highlanders. Ihr müsst nicht mehr länger die unmännliche Kleidung der Lowlander tragen.« Hosen waren in der Tat hinderlich, wenn man unwegsames Gelände und Bäche durchqueren musste: Wenn sie nass wurden, blieben sie den ganzen Tag nass, während der kilt schnell trocknete. Mit einem Tanz, dem Sean triubhas , »alte Hosen«, feierte man die Wiedergeburt des kilts. Das Zucken der Tanzbeine symbolisierte das Abschütteln der verhassten Hosen.
    Die Highland Society of London schrieb auch Dudelsackwettbewerbe aus. Der erste fand 1871 in Falkirk statt, wo man das Vieh sammelte, bevor es nach England verkauft wurde. Heute ist das Wettdudeln fester Bestandteil jeder Highland Games, und wenn ganze Orchester gegeneinander antreten, versteht man, warum das Instrument auch war pipe , »Kriegspfeife«, genannt wird. Nicht ganz so furchterregend sind die Einzelwettbewerbe, bei denen der piper auf einem zur Bühne umfunktionierten Autoanhänger sein Stück vorträgt. Beim pibroch, dem Marsch, läuft er auf und ab, bei den Tänzen, dem strathspey oder dem reel , bleibt er hingegen stehen.
    Ein Engländer sagte einmal, ein wahrer Gentleman sei jemand, der den Dudelsack spielen könne, es aber nicht tue. Steven McCabe spielt, seit er acht ist. Das ist sechzehn Jahre her. Seitdem übt er täglich zwei Stunden. »Ich habe mir das Instrument selbst gewählt, meine Eltern haben mich nicht dazu gezwungen«, beteuert er. Fünf Jahre war er als piper der britischen Armee in Münster stationiert. Er ist schmächtig, trägt einen grünkarierten kilt und eine Goldrandbrille und steht wie angewurzelt auf dem Anhänger, während er aus Leibeskräften in sein Instrument bläst. Vor ihm sitzt ein Punktrichter an einem kleinen Tisch unter einem Baldachin und lauscht nun schon seit Stunden einem piper nach dem anderen.
    Die anderen Teilnehmer der verschiedenen Altersklassen stehen zwischen den Autos auf dem Parkplatz, machen Fingerübungen und stimmen das Instrument. Gregor und Keith Clunie, Vater und Sohn, beide im roten kilt , üben im Duett. Gregor hält ein kleines Kästchen an das obere Ende der Pfeifen, die wie ein Krake aus dem Luftsack ragen. Es ist eine Art elektronische Stimmgabel, denn
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