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Lesereise Paris

Lesereise Paris

Titel: Lesereise Paris
Autoren: Rudolph Chimelli
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Rodin, August Piccard lancierte sie, bevor er in die Stratosphäre aufstieg und in Tiefen tauchte. Viel später sagte die Gräfin: »Ich habe Marcel Proust sehr wenig gekannt. Er ist mir auf seinen Wunsch von Freunden vorgestellt worden.« Die Erlaubnis, den Dichter zu einem Empfang mitzubringen, wurde unter der Bedingung erteilt, dass er nur einen Teil des Abends bleiben würde – »damit wir unsere Gespräche unter uns beenden können«.
    Gelebter Luxus und Esprit sind keine Nachbarn mehr. Die künstlerische Kreativität wird nur noch gerufen, wenn sie der Werbung nützt. Aus Kunsthandwerkern, die die Wünsche und Marotten einer winzigen Minderheit erfüllten (und damit gut verdienten), sind Industrielle und Marketingfachleute geworden. Die Minderheit, in deren Dasein sich die Träume und Geschmacksverirrungen auch der Massen verwirklichten, ist zu einer Kohorte von Snobs angewachsen, die das Symbol des Luxus für den Luxus selber nimmt. An keinem Vorgang ließ sich diese Entwicklung so exemplarisch ablesen wie an der Schaffung der Marke »les must« durch Cartier. Der Nobeljuwelier kreierte seine Billigserie. Ihr englisch-französischer Markenname suggerierte den Chic von Paris und den Appeal des Jetset. Auf der ganzen Welt wurde es so verstanden, dass das Produkt erwerben muss, wer dazugehören will. »Wir können nicht mehr hinter unseren Ladentischen bleiben und auf die Könige warten«, sprach Cartier-Präsident Alain-Dominique Perrin, »also haben wir den Tempel verlassen.«
    Seit 1854 zimmerten Louis Vuitton und seine Erben in Paris Koffer. Fünf Generationen stellten jene berühmten schrankartigen Gepäckstücke her, in denen Hoheiten und Millionäre ihre Roben und Fräcke, Hüte und Schuhe, Korsetts und Jagdgewehre so verpacken konnten, dass diese – in Schubladen links, auf Hängebügeln rechts – die andere Seite der Erde in einem für standesgemäßes Auftreten geeigneten Zustand erreichten. Noch vor knapp einem Vierteljahrhundert hatte Vuitton nur zwei Läden und machte damals mit seiner teuren Handarbeit umgerechnet rund zehn Millionen Euro Umsatz. Heute gibt es mehr als hundert Vuitton-Geschäfte, und ihr Umsatz ist auf mehrere Milliarden Euro gestiegen. Außerdem hat Vuitton mit dem Champagner- und Cognac-Riesen Moët Hennessy fusioniert, der unter seinen Titelmarken die berühmten Namen Dom Pérignon, Mercier Ruinart und andere sowie die Parfums Christian Dior kontrolliert. Vuitton selber gehörten schon vorher die Champagner Veuve Cliquot Ponsardin, Canard-Duchêne und Henriot, auch die Parfums Givenchy. An den Parfums Guerlain ist Vuitton beteiligt. Die Cognac-Marke Hine, die dem britischen Getränke-Nabob Guinness gehörte, hat der Koffermacher nach Frankreich zurückgekauft. Ein Multi des gehobenen Lebensstils, geleitet von einem früheren Stahlmanager, ist entstanden. Doch heute ist das einst legendäre Monogramm LV auf Einkaufstaschen in der Metro zu sehen. Die Demokratisierung des Luxus ist moderne Alchimie, für die Hersteller erfolgreich, für die Abnehmer gerade deshalb unbefriedigend. Hätten Cagliostro und Boettger wirklich Gold aus Sand gemacht, es wäre nicht mehr viel wert gewesen.
    Durch schiere Unerschwinglichkeit halten sich als Bastion des Luxus die Juweliere von der Place Vendôme. An der Spitze der Hierarchie steht Van Cleef & Arpels, der für sein Kunststück berühmt ist, in Diademen, Broschen oder Armbändern bis zu achthundert Steine zu verarbeiten, ohne dass an der Oberfläche Edelmetall sichtbar bleibt. Es folgen die großen Vier: Mauboussin, Mellerio, Boucheron – und noch vor einigen Jahren hätte man geschrieben: Chaumet. Doch das ehrwürdige Haus hat so schmählich Pleite gemacht, dass seine beiden Inhaber ins Gefängnis kamen. Auch in dieser Zitadelle bröckelt es. Mappin & Webb, Cartier, Bulgari, Alexandre Reza, Fred und die anderen bilden das dritte, immer noch sehr respektable Glied. In der Branche gilt die Regel, dass niemand so gut über seinen Umsatz schweigen kann wie ein Juwelier. Man weiß, dass Vacheron Constantin im Jahr mehr als hundert Uhren zum Stückpreis von einer Million verkauft. Man kennt die Dollarmilliarden, die Cartier umsetzt. Aber man weiß auch, dass die Exporte der Spitzenjuweliere seit Mitte der achtziger Jahre schrumpften. Die französische Kundschaft, von der allein die Place Vendôme nie leben konnte, ist noch immer durch Gesetze verschreckt, welche linke Regierungen einführten und bürgerliche Regierungen ohne Gewissensbisse
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