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Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

Titel: Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
Autoren: Picus-Verlag
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Furchtlosigkeit auf dem Schlachtfeld früh im Leben den Beinamen »Löwenherz«. Dass der glänzende General und erfolgreiche Kreuzfahrer als leidenschaftlicher Franzose einer der populärsten Könige Englands wurde, ist vielleicht seine größte Leistung. Obwohl in Oxford geboren, verbrachte er nur kurze Abschnitte seiner zehnjährigen Regentschaft in England. Viel zu sehr liebte er vor allem Aquitanien, um in kalten Schlössern auf einer von Nieselregen durchtränkten Insel herumzusitzen. Als er 1199 mit zweiundvierzig Jahren an den Folgen einer Kriegsverletzung starb, wurden seine sterblichen Überreste geteilt: Sein Körper wurde im Familiengrab der Plantagenets in der Abtei von Fontevrault beigesetzt, sein Herz in Rouen.
    Doch all das lag noch in ferner Zukunft, als Rouen Hauptstadt wurde. Ausgerechnet ein Zugereister brachte es zum ersten Herzog der Normandie. Im Jahr 911 erkannte der französische König Charles III ., der den schönen Beinamen »le Simple« trägt, die Macht des hünenhaften Norwegers Rollo über die Region schriftlich an. Vermutlich sah er keinen anderen Weg, nachdem die Gegend seit dem Jahr 841 immer wieder Angriffen marodierender Wikingerhorden ausgesetzt war. Um diese Landplage ruhigzustellen, überließ er einem ihrer besonders furchterregenden Anführer das untere Tal der Seine: Rollo.
    Ein Name wie ein Donnerhall, zwei Meter und acht Zentimeter groß, berstend vor Tatendurst und Siegeswillen – »Rolf le Macheur«, wie er auch genannt wurde, muss eine eindrucksvolle Erscheinung gewesen sein. Doch nur ein Jahr, nachdem Charles ihn zum Fürsten ernannt hatte, ließ er sich mit Wasser aus der Seine taufen, nannte sich fortan Robert und erwarb mit solch rascher Assimilierung das Anrecht auf eine Grabstelle in der Kathedrale, an deren Stelle sich damals allerdings noch der romanische Vorgängerbau befand. Zuvor hatte Charles das Herrschaftsgebiet Rollos erweitert. Denn noch immer wurde das Küstengebiet von Wikingern heimgesucht, und da bot es sich an, Rollo die mühsame Verteidigung zu überlassen, der wenigstens ein frommer Christ war. Dieser erste Herzog machte Rouen zu seiner Hauptstadt – und das Jahr 911 zum Geburtsdatum der Normandie.
    Rollo mochte schon aufgrund des angenehmen Klimas recht angetan von seiner neuen Heimat gewesen sein. Auch seine Residenzstadt, die aus einem an einer Furt durch die Seine gelegenen keltischen Dorf hervorgegangen war, konnte sich sehen lassen. Seit dem 3. Jahrhundert war Rouen durch eine Stadtmauer mit zwei Toren gesichert. Das Leben war gut. Sein noch in Norwegen geborener Sohn William Langschwert beerbte Rollo. Dass die Ära der Normannen im Jahr 1204 enden würde, als der französische König Philipp-August die Herrschaft über die Normandie zurückgewann, konnte die beiden Fürsten noch nicht kümmern.
    Menschen vom Schlage eines Rollo sind auch in der Normandie eher Ausnahme als Regel. Dennoch hat Rouen bemerkenswerte Persönlichkeiten hervorgebracht. Nicht nur Flaubert hat seiner Heimatstadt einen Platz auf der Weltkarte der Literatur gesichert. Der Jurist, Dramatiker und Dampfplauderer Pierre Corneille (1601–1684) wurde in einem Haus am Alten Markt geboren. Erst 1662 zog er in bereits reiferem Alter nach Paris. Sein Geburtshaus ist heute ein nach ihm benanntes Museum. Corneilles Studierzimmer wurde so authentisch wie möglich rekonstruiert; eine Ausstellung erzählt vom Alltag im 17. Jahrhundert.
    Als Gustave Flaubert seine Madame Bovary von der schillernden Großstadt Rouen träumen ließ, war die Stadt, die schon im Mittelalter mit Stoffen und Tüchern gut verdient hatte, durch Textilfabriken wohlhabend geworden. Die Wirtschaft hatte sich von der Versandung des Hafens erholt, die die Passage zum Atlantik seit dem 16. Jahrhundert zunehmend erschwert hatte. Nun war sogar genug Geld da, den Hafen auszubauen. Für nicht wenige Bürger wurde das Leben bequem.
    Für andere wurde es sogar langweilig. Simone de Beauvoir war hier in den dreißiger Jahren als junge Lehrerin tätig. Den Job hatte sie sich nicht ausgesucht; französische Lehrer haben wenig Einfluss auf ihren Einsatzort. Beauvoirs Sehnsucht nach Paris (und nach Jean-Paul Sartre) war groß, Rouen fand sie provinziell und reichlich öde. Trost und Kraft für den Schultag spendete ihr das tägliche Frühstück in einem Café, das den Namen »La Métropole« ihrer Einschätzung nach gewiss völlig zu Unrecht trägt. In jüngerer Zeit brachte Rouen mit François Hollande im übrigen auch
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