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Lesereise Nordfriesische Inseln

Lesereise Nordfriesische Inseln

Titel: Lesereise Nordfriesische Inseln
Autoren: Kristine von Soden
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Herausforderung sind. Dänemark wurde 1864 geschlagen und bei den Wiener Friedensverhandlungen verdonnert, die Herzogtümer Schleswig und Holstein sowie die reichsdänischen Enklaven abzutreten: die Westhälfte von Föhr (Westerlandföhr), das Sylter »Listerland« und Amrum. Preußen führte fortan Regiment über Nordfriesland. Mit allen seinen Tugenden. Und so landeten jene alten Pläne für einen Amrumer Leuchtturm bald wieder auf dem Tisch. 1873 erfolgte der erste Spatenstich. 1875 startete das Wahrzeichen der Insel auf der Großen Düne seinen Betrieb – das erste deutsche Seefeuer (siehe oben) in Nordfriesland. »Strandräuber« begeisterte die nächtliche Beleuchtung natürlich nicht. Fluch und Segen liegen stets eng beieinander. Rüböl benutzte man anfangs als Brennmaterial für die sechs Dochte der Lampe, nach 1900 Petroleum, 1936 sorgte ein Dieselaggregat im Turm für Strom. Letzteres erleichterte die Arbeit der Leuchtturmwärter enorm. Schon ab Windstärke sechs, wenn der Turm ins Schwanken gerät. Manch einen Wärter haute das um. Viel häufiger geschah dies allerdings durch überfröhlichen Konsum geistiger Getränke, vorzugsweise Rum. Doch zum Knopfdruck, um den Dieselmotor in Gang zu bringen, reichte es in der Regel noch.
    Wir stehen noch immer an der Leuchtturmkasse. In der Hoffnung, geduldiges Warten lohnt. »Sorry, aussichtslos!« Aber wir sollten uns mal umhören. Mitunter gebe es Karten schwarz. Schwarz? Wie ist denn das bitte zu verstehen? Strandkorb für Strandkorb abklappern? Oder sich am FKK umhören? Nur weil wir noch nie das Glück hatten, uns vom Amrumer Leuchtturm aus ins abendliche Farbenspiel der Wolken zu träumen und jenen Hauch von Seefahrerromantik zu spüren, der seit eh und je Leuchttürme umgibt? Doch dem Glück soll man nicht nachlaufen, es kommt von allein.
    Zu den Sieben Weltwundern der Antike zählte der Leuchtturm auf Pharos vor der ägyptischen Stadt Alexandria. Der geschätzte hundertzwanzig Meter hohe Koloss wurde Vorbild für eine ganze Reihe von Leuchttürmen im mediterranen Raum. Erste Seezeichen tauchten an deutschen Küstenabschnitten im frühen Mittelalter auf. Als ältestes gilt ein Hafenkreuz in Travemünde. 1316 wurde hier auch der erste Leuchtturmwärter Deutschlands registriert. Heute gibt es den Beruf nicht mehr, hat »die Beobachtung der Vorgänge auf See, sofern solche mittels Fernrohrs möglich, thunlichst oft, namentlich aber bei unruhiger See, stürmischem Wetter und bei Tagesanbruch«, so eine vergilbte Anweisung, ausgedient.
    Der letzte Amrumer Leuchtturmwärter packte 1983 seine Sachen, verließ für immer seinen Arbeitsplatz. Fernsteuerung lautete damals das Zauberwort, von Tönning aus auf der Halbinsel Eiderstedt, bundesweit bekannt von der Bier- TV -Werbung mit dem Leuchtturm Westerheversand. Das maritime Top-Modell, Jahrgang 1907, vierzig Meter hoch, flankiert rechts und links von den einstigen Leuchtturmwärterhäuschen, ist rot-weiß gestreift. Wie der Leuchtturm auf Amrum. Doch rot-weiß bedeutet in der Logistik der Schifffahrt nicht gleich rot-weiß. Entscheidend ist die Tageskennung, also die genaue Anzahl und Breite der Streifen. Selbiges gilt für die Nachtkennung, den Strahlenrhythmus. Beim Amrumer Leuchtturm: Blitz 7,5 s. Das heißt, eine Sekunde Helligkeit wechselt mit sechseinhalb Sekunden Dunkelheit ab. Und noch eine Zahl: Die Tragweite der Strahlenfinger beträgt dreiundzwanzig Seemeilen. Trotz Satellitennavigation und GPS (beides kann unerwartet ausfallen!) muss jeder Leuchtturm eindeutig erkennbar sein. Von Zeit zu Zeit ist darum ein frischer Anstrich fällig. Verlieren doch die Signalfarben durch Sonne, Salz und Sandschliff an Leuchtkraft.
    Im Sommer 2003 fand die letzte große Malaktion am Amrumer Leuchtturm statt. Scharen Schaulustiger fotografierten die Jungs vom Tönninger Schifffahrtsamt. Zweihundertfünfundsiebzig Liter Signalrot und zweihundertsechzig Liter Weiß pinselten sie schwindelfrei und mit ruhiger Hand von ihren Schwebebühnen auf das mächtige Mauerwerk. Hier und da spritzten Böen Farbtropfen beiseite und verewigten sie an der Wand – eine bleibende Erinnerung an jene Wochen, als die alte Eichentür zum Leuchtturm verriegelt blieb.
    »Guckt morgen noch mal vorbei!«, schlägt uns plötzlich der Mann an der Kasse vor. Sein Polohemd ist wie der Leuchtturm rot-weiß gestreift, jedoch in anderer »Tageskennung«. Manchmal seien Leute verhindert und brächten ihre Karten zurück. Ein Lichtblick am Horizont. Und es
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