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Lesereise - Jakobsweg

Lesereise - Jakobsweg

Titel: Lesereise - Jakobsweg
Autoren: René Freund
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ohnehin nichts, sagt sie. Die meisten Pilgerherbergen, die gîtes d’étape, gehörten den Gemeinden, und in Frankreich sind Staat und Kirche vorbildlich getrennt. In Spanien allerdings müsse man tatsächlich einen offiziellen Pilgerpass haben, um in den Pilgerherbergen, den refugios, übernachten zu dürfen. Die Herbergen seien von unterschiedlicher Qualität, erzählt uns die erfahrene Pilgerin. Sie verfügten immer über Dusche, WC und Schlafgelegenheiten und meist über Küchen, die auch mit Pfannen und Geräten ausgestattet seien. Oft finde man Basislebensmittel wie Öl oder Salz, oft auch Gewürze, Knoblauch, Marmeladen. Wenn nicht, solle man welche kaufen und sie für die nächsten dalassen. So finde immer ein stiller »Austausch« statt.
    Für die Übernachtung in Le Puy empfiehlt uns die Dame das Couvent de la Providence, das Kloster der Vorsehung, neben der Kirche Saint-Laurent. In ihr Pilgerbuch schreibe ich: »Nous nous fions à la Providence« – wir vertrauen uns der Vorsehung an, was, wenn man es sich überlegt, ohnehin das Einzige ist, was einem im Leben übrigbleibt. Nur: Als Pilger merkt man es noch ein bisschen mehr, weil man meistens nehmen muss, was einem so entgegenkommt, während man sonst zumindest die freie Wahl des Menüs oder des Fernsehprogramms hat.
Bains, 23. September
    15,5 Kilometer sind wir heute gegangen, eine echte Amateurleistung … Aber gut, wir wollten am Anfang nicht übertreiben. 16,5 Kilometer sollten wir morgen mindestens gehen. Dann wären wir in Monistrol-d’Allier, wo man schlafen, essen und einkaufen kann. Oder wir hängen noch 12 Kilometer an, das wären dann 28,5 km, und wir wären in Saugues, wo es auch eine gute »Infrastruktur« gibt, wie wir die bescheidenen Übernachtungs- oder Einkaufsmöglichkeiten gerne nennen. Schon jetzt, an unserem ersten Jakobsweg-Abend, ahne ich, womit wir die längste Zeit beschäftigt sein werden: nämlich damit, uns zu überlegen, wie man am geschicktesten geht, damit man am Abend nicht im Niemandsland endet – denn dafür sind die Nächte jetzt schon zu kühl.
    Beim Frühstück im Kloster in Le Puy haben wir ein Ehepaar kennengelernt, beide etwa sechzig Jahre alt. Es sind französischsprachige Kanadier aus der Provinz Québec. Letztes Jahr sind sie bereits den spanischen Teil des Weges gegangen. »Mein Rucksack hatte zwanzig Kilo«, erzählte uns Guy-Marie, »ich habe mir bereits auf der ersten Etappe über die Pyrenäen die Füße ruiniert, und nach zwei Wochen in Spanien habe ich zu meiner Frau gesagt: Nie wieder in meinem ganzen Leben werde ich so einen Wahnsinn machen. Jetzt ist kaum ein Jahr vergangen, und wir sind schon wieder unterwegs.«
    Wir haben uns noch bis Mittag in Le Puy herumgetrieben, es ist eine schöne Stadt. Dann sind wir aufgebrochen, haben die Rue de Compostelle erklommen und uns, während wir schnaufend auf die Stadt hinuntersahen, gefragt, wie wir diese rund 1500 km zu Fuß jemals schaffen sollen. Der erste Rückschlag lässt nicht lange auf sich warten: Da oben gibt es kein Geschäft mehr … Also zurück in die Stadt, Proviant einkaufen. Das ist ja in Frankreich immer ein großes Vergnügen: Jeder kleine Supermarkt bietet so viele Käsesorten feil, dass man an jedem Tag des Monats drei neue essen könnte, ohne sich wiederholen zu müssen.
    Aber jetzt das Wichtigste: der Weg! Wie schön dieser Weg ist, wenn man die Vororte erst einmal verlassen hat! Er schlängelt sich durch Eichenwäldchen, über Felder, an Steinmauern vorbei, in denen die Eidechsen rascheln, er führt durch Kiefernwälder, an dicken, zufriedenen Kühen vorbei, und immer bietet er einen Blick – Hunderte Kilometer weit! Ich weiß, warum ich so lange gezögert habe, den Weg zu beschreiben: weil ich ihm nicht gerecht werden kann.
Bains, 23. September
    Liebe Michaela!
    Heute sind wir bei einer Familie zu Besuch, die auch Gästezimmer vermietet. Wir sitzen gerade im Wohnzimmer, die Mama kocht, die Tochter macht ihre Hausaufgaben in der Küche, der Sohn packt seinen Fußballdress aus (nach dem Training) und geht duschen. Wir sind bloß zwei Kinder mehr in der Familie – aber zwei lästige. Wollen Tee, rauchen, sitzen nutzlos herum. Bains ist ein kleines Kaff mit einem winzigen Hotel-Restaurant, das uns aber weder zum Übernachten noch zum Essen behalten wollte. Die Besitzer sind einfach zu faul, hat man uns erklärt.
    Wir sind, glaube ich, im gemütlichsten Haus des Ortes gelandet, bei Familie Raveyre, und da bleiben wir jetzt auch.
    Wir
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