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Lesereise - Israel

Lesereise - Israel

Titel: Lesereise - Israel
Autoren: Gil Yaron
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Demonstrationen in Bilin, einem palästinensischen Dorf im Westjordanland, wo jede Woche eine Kundgebung gegen die Errichtung der israelischen Sperranlagen stattfindet. Roi kann kein Arabisch, kennt nur wenige Palästinenser und hat von palästinensischer Innenpolitik keine Ahnung. Er protestiert gegen die Besatzungspolitik einer Armee, in der er einst diente. Sein Leben ist den sozial Schwachen gewidmet. Er arbeitet bei einer Hotline für Gastarbeiter und setzt sich auch für die Rechte enteigneter Palästinenser ein: »Stünde der Grenzzaun auf der grünen Linie [die 1949 die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Jordanien demarkierte], würde ich nicht protestieren. Aber solange Israel den Palästinensern Land stiehlt, gehe ich zur Demo«, sagt Roi. Anne S. kennt Roi von der Arbeit. Sie diente früher im Hauptquartier der Brigade, die das Westjordanland kontrolliert. Jetzt will sie wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht. Vorn sitzt die fünfunddreißig Jahre alte Nirit Ben Ari, trotz ihrer jungen Jahre bereits Veteranin israelischer Bürgerrechtsbewegungen. Die Doktorandin der Soziologie kommt nicht mehr jede Woche zu den Demonstrationen, sondern hilft dabei, Aktionen verschiedener Organisationen zu koordinieren.
    Betont gelassen unterrichtet Roi die Aktivistinnen über die Sicherheitsvorkehrungen. »Bleibt am Anfang hinten, bis ihr versteht, wer gegen wen ist«, sagt er und schiebt seinen blonden Schopf hinter die Ohren. Vier Waffen kämen bei den Demonstrationen zum Einsatz. »Als erstes Tränengas. Davon stirbt man nicht, selbst wenn es sich so anfühlt. Ihr dürft nicht laufen, weil man dann mehr davon einatmet! Prüft die Windrichtung. Geratet ihr trotzdem in eine Wolke, kniet am besten nieder. Jemand wird schon kommen und euch helfen«, sagt Roi, und die achtundzwanzig Jahre alte Sarit T., die zum ersten Mal zu einer Demonstration fährt, kichert nervös hinterm Steuer. »Die zweite Stufe sind Blendgranaten. Die machen einen Höllenlärm. Aber erinnert euch daran: Je lauter die Waffe, desto ungefährlicher ist sie«, sagt Roi. Danach kämen Gummigeschosse zum Einsatz: »Die werden nur in der Nähe des Zaunes benutzt und machen höchstens einen blauen Fleck.« Am meisten fürchten die Demonstranten das »Stinktier«, einen Apparat, der eine stinkende Flüssigkeit auf Menschen sprüht. Tagelang haftet der Gestank, der gleichzeitig an verfaulte Leichen, Kot und halb verdautes Essen erinnert, an der Haut. »Das ist nicht gut für Beziehungen«, sagt Roi und schmunzelt. Die Frauen rümpfen ihre Nasen. Er beruhigt: »Keine Sorge, das Stinktier kommt nur bei Großdemos zum Einsatz.«
    Der Wagen verlässt die Autobahn und biegt ab Richtung Westjordanland. Schließlich erreicht er einen Checkpoint der Armee. »Denkt daran: Falls sie uns fragen, fahren wir zu einer Familienfeier in einer Siedlung«, mahnt Roi. Jede Woche dieselbe Finte, um von Soldaten durchgelassen zu werden. Schon oft wurden Demonstranten auf dem Weg ins Westjordanland festgehalten. Die Armee sieht Israelis nur ungern unter den Demonstranten, sie engen ihren Handlungsspielraum ein. Neuerdings versucht auch der Geheimdienst, die allwöchentlichen Demonstrationen in Bilin unter Kontrolle zu bringen. Jetzt werden immer mehr Aktivisten an Checkpoints aufgehalten, eine Liste mit Autokennzeichen soll an Soldaten verteilt worden sein. Diesmal werden die vier Aktivisten aber durchgelassen. »Glück gehabt«, sagt Nirit. Kurz hinter dem Checkpoint macht der Wagen eine scharfe Rechtskurve und holpert eine löcherige Landstraße entlang nach Bilin. Die vier Israelis halten hinter der Moschee und steigen aus.
    Bilin ist ein typisches kleines palästinensisches Dorf unweit von Ramallah. Drei kurvenreiche, verwinkelte Straßen, ein paar kleine Tante-Emma-Läden, die meisten Bewohner leben von der Landwirtschaft. Ein Bewohner, Bassem Abu Rahma, hat hier traurige Berühmtheit erlangt. Die Poster mit seinem Antlitz sind überall zu sehen. Ganz so harmlos, wie Roi die Proteste darstellt, sind sie nicht. Die Waffen, die die Armee einsetzt, können tödlich sein. Seit 2004 bis Anfang 2010 kamen neunzehn Demonstranten ums Leben. Abu Rahma wurde 2009 von einem Tränengaskanister in die Brust getroffen und war auf der Stelle tot. Erst vor einer Woche traf ein anderer Behälter mit Tränengas einen israelischen Demonstranten am Kopf. Er befindet sich mit Schädelbruch und Gehirnerschütterung im Krankenhaus. Roi warnt die Frauen vor einer weiteren Gefahr:
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