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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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Denn seine Frau, die Ilsebill, wollte nicht so, wie er es wollte. Sie wollte, dass ihr Mann dem Plattfisch Wünsche abtrotzte, unbotmäßige allesamt. Sie schimpfte auf die kleine Fischerhütte, verlangte ein Schloss. Der Fischer mochte seiner Frau nicht entgegen sein, ging los und rief Manntje! Manntje! Timpe Te! Buttje! Buttje, in der see!/ Myne fru de Ilsebill/ Will nich so as ik wol will . Der Butt kam angeschwommen und fragte: Na, wat will se denn? Der Fischer trug den Wunsch seiner Frau vor, und noch im selben Moment war er in Erfüllung gegangen. Doch Ilsebill war das nicht genug, sie schickte ihren Mann wieder und wieder los. Bei jedem Mal verfärbte sich die See, erst grün und gelb, bald violett und schwarz, dann gärte sie, roch sie verfault, schließlich war die See schlammig und dick, und ein Wirbelwind raste über sie hinweg, dass das Wasser sich drehte, und den Fischer kam ein Grauen an, dennoch rief er: Buttje! Buttje, in der see!/ Myne fru de Ilsebill/ Will nich so as ik wol will . Ein Schloss besaß seine Frau, die Ilsebill, inzwischen schon, sie war König, sie war Kaiser, sie war Papst, jetzt wollte sie sein wie Gott! Felsbrocken stürzten in die See, warfen kirchturmhohe Wellen, der Fischer und seine Frau saßen wieder in ihrer kleinen Fischerhütte. Door sitten se noch bet up hüüt un düssen dag , ja, da sitzen sie noch bis zum heutigen Tag – wie es Philipp Otto Runge im Pommerschen Platt, das er perfekt sprach, aufgeschrieben hat.
    Die Brüder Grimm, beide erheblich jünger als er, Jacob neun Jahre, Wilhelm acht, brachten das Märchen »Vom Fischer un syner Fru« 1812 in der ersten Ausgabe ihrer »Kinder und Hausmärchen« heraus. Philipp Otto Runge erlebte diesen Erfolg nicht mehr, 1810 war er gestorben – mit nur dreiunddreißig Jahren. Doch er selbst hatte noch den beiden Bibliothekaren, die während ihres Jurastudiums in Marburg von dem Rechtshistoriker Carl Friedrich von Savigny in die Wissenschaft des Edierens eingewiesen worden waren, sein Märchen anvertraut. Wusste er doch um ihre Ambitionen, die »Poesie des Volkes« zu bewahren, da diejenigen, die Märchen festhalten, schon damals, man höre und staune, »immer seltner« geworden waren. Die Brüder Grimm legten strenge Maßstäbe an ihre Sammlung an, hatten genaue Vorstellungen davon, was einen gelungenen Erzählstoff ausmacht. Von Runges Märchen waren sie wegen der »trefflichen Auffassung« sehr angetan und nahmen es als »Muster« für das, hieß es in ihrem Vorwort, was auf ihrem »Feld« künftig zu erwarten sei. Grimms Märchen brachen alle Rekorde, wurden zum weltweit meistgelesenen und meist verbreiteten Buch der deutschen Kulturgeschichte. Günter Grass angelte sich den Plattfisch für seinen »Butt« aus Runges Originalvorlage heraus und fabulierte darüber, wo der Wolgaster Schiffsbauersohn das Märchen wohl aufgeschnappt haben mag: vielleicht auf Rügen von jener alten Frau, die auf der kleinen Insel Öhe wohnte, doch bei günstigem Wetter zum Markttag in den Fährhafen von Schaprode an der zerklüfteten Westküste gerudert kam …?
    Als Kind schon fiel Philipp Otto Runge durch seine Begabung auf. Er schrieb nicht nur, er zeichnete auch, zum Beispiel die Wolgaster Backsteinkirche St. Petri, von deren gedrungenem Turm man über die Dächer der alten Seehandelsstadt, die einst zur Hanse gehörte, am Unterlauf der Peene bis zur Insel Usedom schaut. Philipp Otto Runge beherrschte schon früh auch den Scherenschnitt, jenen Kunstzweig und geselligen Brauch, der damals groß in Mode war. Von seiner ältesten Schwester Maria Elisabeth guckte er sich ab, wie Papier und Schere zu handhaben waren, seine Mutter hatte ihm Ausdauer und Geschick beigebracht. Auf die Weise wurde die Schere, schrieb Philipp Otto später, »nachgerade weiter nichts mehr als eine Verlängerung meiner Finger«, entstanden ganz von allein schönste Lichtmanschetten, Blumenkränze, Tapetenborten, Blattranken und Stickvorlagen.
    Schon im Alter von elf Jahren schuf er Porträts aus dem Familienkreis im Schattenriss. Mit »auffallender Laune« wagte er sich an Scherenschnitte von Tieren, erinnert sich sein ältester Bruder Daniel. Und weil Philipp Otto jede Regung in der Natur mit allen Sinnen wahrnahm, gelangen ihm spielende Katzen oder äsende Rehe, Schafe, Hunde, krähende Hähne oder lauernde Füchse derartig lebendig, als wären sie den umliegenden Wiesen und Gehöften entsprungen. Auch zarteste Gräser und Beerensträucher, Blüten von Feuerlilien,
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