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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte
Autoren: Kristine Soden
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hatte die Familie gewohnt. Der Nachfolgebau 1902 bekam ein neues Gesicht aus Klinkern in neuzeitlich städtischem Charme.
    Und nun also diese Fenster, dieses abgedämpfte Licht – wie in Friedrichs Dresdner Atelier! Beide, das linke und das rechte, exakt so, wie man sie von seinen Sepiazeichnungen kennt: die unteren Flügel nach innen weit geöffnet, aus dem kahlen Raum schweift der Blick hinaus, hohe Schiffsmasten durchziehen den Vordergrund, in der Ferne kleine Boote, Pappeln am Ufersaum. Aber wir sind nicht in Dresden in Caspar David Friedrichs Atelier, sondern in der ehemaligen väterlichen Werkstatt in Greifswald, seit 2004 Sitz des Caspar-David-Friedrich-Zentrums. Herzstück ist ein Raum, der tatsächlich frappierende Ähnlichkeit mit Friedrichs Dresdner Atelier hat. Der Trick: Vor jedem der beiden Fenster, dem linken und dem rechten, hängt ein transparenter Stoff mit Friedrichs Originalfensterzeichnung in entsprechend vergrößertem Format: sein »Blick aus dem linken Atelierfenster« und sein »Blick aus dem rechten Atelierfenster«, beide von 1805. Erst bei näherem Hinsehen erschließt sich das. Und die Originale von Friedrichs Fenstern? Sie befinden sich in Wien, im Kunsthistorischen Museum!
    Von Friedrichs Malerfreund Georg Friedrich Kersting sind Interieurbilder überliefert, auf denen außer der Staffelei nur Reißschiene, Dreieck und Lineal im Atelier auszumachen sind – der Künstler mit dem Rücken zum Fenster auf sein Bild konzentriert, von keinem Dekor, keinem Möbel abgelenkt, getreu seiner Maxime: »Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.« Einziger Gegenstand im Greifswalder »Atelier«, die Wände weiß getüncht, auf dem Boden knarrende Dielen, ist ein rechteckiger Lichttisch, worin unter Glas Skizzenblätter von Caspar David Friedrichs Rügenreisen farbigen Abbildungen seiner Rügengemälde gegenübergestellt sind. Mitnichten nämlich hatte sich der romantische Maler, wie manch ein Strandkorbgast noch immer glaubt, mit Pinsel und Farben nach Rügen aufgemacht, um vor Ort die Kreidefelsen auf seine Leinwand zu bannen. Und jenes Kunstwerk selbst, das zum Synonym für Deutschlands größte Insel inklusive ihrer touristischen Vermarktung geworden ist, »Kreidefelsen auf Rügen« (1818), birgt eine Geschichte, die der Rüganer Holger Teschke, intimster Inselkenner, Dramaturg und Regisseur, schaurig schön erzählt: 1815, als Caspar David Friedrich seine dritte Rügenreise antrat, begleitete ihn sein Dresdner Freund, der Münzbuchhalter Friedrich Kummer. Am Königstuhl stiegen sie, bewaffnet mit Stift und Zeichenblocks, zum Ostseestrand hinunter, wo ihnen die Kreide buchstäblich zu Füßen lag. Kummer, sein Name schien Programm, war vor Überschwang nicht zu bremsen, sprang mit einem Satz an den Felsen heran, kletterte in seine glitschigen Schluchten und verschwand. Friedrich schloss sich diesem Wahnsinn natürlich nicht an, nur zu gut wusste er um die Tücken, um die Gefahren. Sein Freund wollte aber nicht auf ihn hören. Zeit und Stunde vergingen, Friedrich hatte etliche Skizzen im Gepäck und wähnte seinen Begleiter längst am Ziel auf dem Hochuferpfad, als er plötzlich flehende Rufe vernahm, die nur von Freund Kummer stammen konnten. Geistesgegenwärtig suchte Friedrich Hilfe, was in Ermangelung drahtloser Kommunikationsmöglichkeiten jedoch bis zum Einbruch der Dunkelheit andauerte. Unterdessen hing der Münzbuchhalter wenig romantisch zwischen Kreidewand und Uferüberhang, erstarrt in Todesangst. Eine Seilschaft beherzter Insulaner hievte den Mann schließlich im Schein einer Laterne mit Ach und Krach hoch. Auch heute gibt es immer wieder Witzbolde, die sich einbilden, die Kreide bezwingen zu können. Helikopter müssen dann Lebensretter spielen. Ein teurer Spaß, aber günstiger als eine Beerdigung.
    Bei Johann Gottfried Quistorp, dem »Akademischen Zeichenmeister« an der Greifswalder Universität, hatte Caspar David Friedrich sein Handwerk gelernt. Quistorp, ein Pfarrerssohn aus Rostock, war in der Studentenschaft überaus beliebt und hatte die Aufgabe, angehenden Medizinern und Botanikern das Zeichnen von Präparaten beizubringen. Studenten der Baukunst und Ingenieurwissenschaften führte er zudem in ihre künftige Berufspraxis ein. Denn Quistorp war zugleich auch Architekt, tonangebend sogar in Greifswald zu jener Zeit. So stammt
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