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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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schweinischer leben muss als ein Schwein, weiß wohl keinen anderen Ausweg. Wer nicht hungern will, muss plündern. Lubumbashi hat alles: Zentrum pyramidaler Bodenschätze, Kupfer, Kobalt, Zinn, Zink, Silber. Lubumbashi hat nichts: Es liegt in einer Kleptokratie. An einer Hausmauer steht auf Suaheli: »Mobutu ni mavi.« (Mobutu ist Scheiße.)
    Gehe ich einen Sonntag lang durch die Brandruinen, bin ich alle zehn Meter Anlaufstelle verschiedenster Bedürfnisse. Fragt einer nicht nach Geld, will er meine Stiefel, mein Hemd, meine Zigaretten, ein Stipendium oder eine Arbeitserlaubnis für »das schönste Land der Welt, für Deutschland«. Manchmal verläuft die Begegnung munter, manchmal wird der Antragsteller handgreiflich, greift wütend nach Dingen, die ich behalten will. So eine lauernde Armut. Wie sie Angst macht, wie man sie begreift.
    Ich treffe Sissiko, ausführlich erkläre ich ihm, dass ich der falsche Mann bin, nicht den geringsten Einfluss habe auf die Visum-Politik der deutschen Botschaft. Und Sissiko sagt den bewegenden Satz: »Ich will nur nach Europa und dort sterben. Um anschließend wieder zur Welt zu kommen, als Weißer. Denn Gott erschuf den weißen Mann und der Teufel den schwarzen.«
    Nachts stehe ich auf dem Balkon des verrotteten Hotels Belle Vue. Und der schöne Blick zeigt die nassen, verkohlten Hauswände der Innenstadt. Ein unbeleuchtetes Fahrzeug stottert durch den Regen, eine Hure stöckelt über die Schlaglöcher. Durch das offene Fenster der gegenüberliegenden Wohnung sehe ich den Fernseher flimmern und höre eine erotische Männerstimme fragen: »Tu sais pourquoi je suis venu?« Ich werde es nie wissen, irgendwo peitschen Schüsse.
    Nach zwei Uhr morgens wache ich auf und heule. Das passiert öfter auf langen Reisen. Ich könnte nicht genau sagen, warum. Schon als Jugendlicher war ich oft unterwegs. Aber zwischen den Reisen waren längere Pausen. Die Wunden, die Bilder, die ich in meinem Kopf nach Hause trug, hatten Zeit zu verheilen. Auch waren sie weniger tief, weniger grell. Heute sind die Pausen kürzer. Und die Wunden tiefer, greller. Heute bleiben sie offen. Ich vermute, dass ich in manchen Stunden dem Druck nicht standhalte. Dass mir heulend bewusst wird, dass ein paar Milliarden Männer und Frauen und Kinder kein Glück haben. Und mir keine Rechtfertigung mehr einfällt, warum das so ist. »Something went terribly wrong«, schrieb Shiva Naipaul in seinem Afrikabuch »North of South«. Aber ja.
    Montagmorgens warte ich sechs Stunden vor dem Konsulat von Sambia, um eine Einreiseerlaubnis zu beantragen. Mit der Nase fünf Zentimeter vom Eisentor entfernt. Andere hundert Nasen drücken hinter mir. Um zwölf Uhr fünfzig öffnet jemand zum ersten Mal den Eingang, und ich erfahre, dass ich das Dokument nicht brauche. Ein Transitvisum, ausgestellt an der Grenze, würde genügen. Nach hundertzehn Kilometern bin ich dort. Fast. Bis zum Schlagbaum haben die Bettler eines bettelarmen Landes Stellung bezogen. Im Laufschritt an ihnen vorbei, dann schnell in einem öffentlichen Abtritt die üblichen Manöver erledigen: die großen Scheine verstecken, mittlere Scheine als »Geschenk« bereithalten, eine Visumserklärung fingieren.
    So ausgerüstet erfolgt ein unbeschwerter Übertritt. Bei den zairischen Behörden muss ich mich noch ins große Buch für Ausländer eintragen. Hinweisträchtige Überraschung: Die letzte Unterschrift stammt von einem Australier, einen Tag nach der Plünderung. Ich vermute, er rannte um sein Leben. Seitdem, fünf Wochen lang, kein Eintrag mehr.
    Spätnachmittags geht es weiter. Vom ersten Schritt an heilt Sambia. Afrika aus dem Märchen. Die Sonne über den schwarzen Wolken, dazwischen ein blassblauer Seidenhimmel. Das leichte Schaukeln des Kombis, der eintönige Sound des Motors, wie sie besänftigen. Wie das Wissen, dass die zehn Millionen Einwohner des Landes drei Mal mehr als jenseits der Grenze verdienen. Und mehr als die Hälfte weniger Analphabeten haben. Und einen Präsidenten, der sich noch immer keinen Namen als Halunke und Schinder gemacht hat.
    Vorbei an flachen, sauberen Häusern. In der nächsten Ortschaft sitze ich in einem Bus, der tatsächlich abfährt, voll mit Arbeitern einer nahen Kupfermine. Letzte Sonnenstrahlen zielen auf ihre Gesichter, bisweilen kreuzen sich unsere Blicke, wir lächeln. Es gibt eine Müdigkeit, die zufrieden macht und brüderliche Wärme ausstrahlt.
    In Kitwe steige ich aus. Im Nkana Hotel (zwei Sterne, heißt es) fragt mich
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