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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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Firmen geflohen. Auch sonst steht vieles leer, die Post, Hotels, die Baustellen. Niemand gibt hier irgendwelche Garantien. Sicher nicht, seit feststeht, dass selbst die »Division Spéciale Présidentielle«, Mobutus eigene Leibwache, mitplündert.
    Da keiner mehr kommt, hat die hübsche Alphonsine Zeit für mich. Sie arbeitet als Kellnerin im »Au petit repas« und serviert lächelnd eine Limonade. Sie setzt sich gleich daneben und fragt, was ich vom »faire l’amusement« hielte. Ich frage, was das sei. Das sei »sich küssen und sich lieben«. Für ein »kleines Geschenk«, sie erwähnt zweihunderttausend Zaire, sprich vier Bierflaschen, würde die Hübsche heute Nacht an meine Zimmertür klopfen. Auf dem Restauranttisch liegt gerade ein Buch von Octavio Paz, in dem er einen Satz von Novalis zitiert, den ich vor Tagen angestrichen habe: »Den Körper einer Frau berühren heißt den Himmel berühren.« Eine ganze Nacht Alphonsine anfassen, ich seufze. Aber die Zeiten sind ungesund in Zaire. Aids geht um. Als ich das Mädchen grinsend frage: »Gestehe, Alphonsine, hast du Aids?«, antwortet sie todernst: »Ich? Nein! Aber die andern.«
    Dramatische Nächte, auch ohne die Wärme der Zutraulichen. Zwei Stunden lang erhellen tosende Blitzlichter mein Zimmer, immer nach Mitternacht, wenn eine Ladung Regen vom Himmel fällt. Seltsam, so überwältigend scheint das Licht, dass sofort alle drei Kerzen neben dem Bett verlöschen.
    Überübermorgen geht es tatsächlich los. Nicht wahr ist, wie Lästerzungen behaupten, dass man hier sogar die Flugzeuge anschieben müsse. Sehr wahr jedoch, dass alle Passagiere wieder vom Lastwagen runtermüssen, um das Fahrzeug, das sie zur Startbahn schaffen soll, in Schwung zu bringen. Rechts von der Eingangshalle stehen die Bambushütten der Bewohner im Regenschlamm, links lässt sich ihr Staatschef gerade einen »Salon d’Honneur« aufstellen. Das goldene Dach steht schon, der Paradeplatz mit Lichtorgel und Lautsprecheranlage ebenfalls.
    Ruhiger Zweistundenflug. Das weite Land, der Dschungel, die Flüsse. Jeder bekommt ein trockenes Kuchenstück. Mir ist nicht gut. Nicht wegen der Ameise, die aus meinem Streusel kriecht. Ich denke an das letzte Treffen mit Jean-Denis. Sein Dorf lag ganz in der Nähe von Gbadolite. Klar gab ich ihm Geld. Aber jetzt erscheint mir die Summe lächerlich für einen hochbegabten Kerl mit sechs Sprachen und ohne Zukunft. Soll sich das ändern, braucht er Cash. Ich weiß, ich bin knapp bei Kasse, die Flugkosten waren nicht geplant. Dennoch. Ich sehe ihn nochmals von mir weggehen und bilde mir plötzlich ein, dass sein Gang etwas wie Enttäuschung ausdrückte. Nicht ohne Grund. Natürlich hätte ich ihm mehr geben können. Weiß und reich wie ich bin. Hätte ich nur ein anderes Herz, ein großzügigeres, ein furchtloseres.
    Zwischenlandung in Kinshasa. Alle ausländischen Fluggesellschaften sind davon. Man sieht noch die Einschusslöcher und das gesplitterte Holz gewaltsam überrannter Türen. Nachts habe ich einen Anschlussflug nach Lubumbashi. Ich will die Zeit nutzen und fahre ins Zentrum der Hauptstadt. Schlecht genutzt. Ein wüster Anblick. Die leer gestohlenen Geschäfte, ausgeräuchert, das zertrümmerte Mobiliar, das im Freien herumliegt. Als ich auf der Hauptstraße »Boulevard du 30 Juin« die Tür eines Taxis öffne, stößt mich jemand von hinten in den Fond, zückt seinen Ausweis und zischt: »Sécurité. Je vous arrête.« Ich muss ihm auf die Terrasse eines Restaurants folgen. Andere Sécurité-Männer kommen, setzen sich dazu. Der Boss zeigt mir einen verschmutzten Wisch, und ich weiß Bescheid: Kleine Tagediebe, die auf ein paar schnelle Dollars spekulieren. Der Zettel – ein Strafregister für alle, die keine Devisenerklärung besitzen – hat zu viele Schreibfehler, um offiziell zu sein. Der Coup ging daneben. Sie sind keine Spur verlegen, sie zahlen sogar meine Limonade, dann darf ich zurück zum Taxi. Es wird Zeit. Strömender Regen, als die Boeing 737 über die Startbahn rast.
    Kurz vor Mitternacht Ankunft in Lubumbashi. Einen Monat nach Kinshasa kam die Stadt, die zweitgrößte des Landes, unter die Räder. Vor allem die Läden der Libanesen, sie gelten als Kollaborateure Mobutus. (Belgische und französische Truppen flogen ein, um Leib und Leben der hiesigen Europäer zu schützen.) Was die einheimischen Soldaten nicht abräumten, packte die Bevölkerung ein. Wie menschlich, wie vorhersehbar: Wer eineinhalb Bierflaschen Sold bezieht, wer
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