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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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Dollar. Der erste Zairer, den ich treffe, flüstert: »Il a volé le pays.« Übersetzt man den Satz wörtlich, stimmt er genau: Er hat das Land gestohlen.
    Nach den letzten Ausschreitungen befindet sich dieser Staat in demselben Zustand wie jener Peugeot 204, den ich anheuere und der nach zweihundert Metern mit einem eindrucksvollen Knall aus der Motorgegend liegen bleibt. Der Fahrer geht zum Biertrinken über die Straße, ich schlage mich durch ins fünfundzwanzig Kilometer entfernte Gbadolite, wo Mobutu seine Kindheit verbrachte.
    Die Stadt gehört ihm, dem »Rassembleur«, dem Vereiniger. Auch das »guesthouse«, in dem ich nach einem Zimmer suche. Ich zahle achtundsiebzigtausend Zaïre pro Nacht, etwas über einen Dollar. In diesem Land ist jeder arme Schlucker als Millionär unterwegs. Ich frage nach dem Palast, der bis hierher herüberleuchtet. Der Palast wäre eine von Mobutus »résidences présidentielles«. Ich bin naiv genug und ziehe los. Als ich mich dem imposanten Eingangstor nähere, kommen sechs Soldaten aus dem Dunkeln auf mich zu, fragen nach den Papieren und nehmen eine Leibesvisitation vor. Nicht um Mobutu zu schützen (der ist weit weg, irgendwo in einem seiner auf fünftausend Stück geschätzten Eigenheime), sondern um sich ein paar meiner Geldscheine anzueignen. Ich habe Pech, weil sechs Maschinenpistolen herumstehen und Glück, weil die großen Banknoten sorgfältig versteckt sind. Nach dem Diebstahl muss ich unterschreiben, dass alles ordnungsgemäß verlief, Papiere vorzeigen, sonst nichts. Hinterher bringen sie mich auf einem Jeep zur Kaserne, zum Verhör. Harmlos. Weil ich dort auf Colonel Thierry C. stoße, einen hellen Mitmenschen, der nach Minuten erkennt, dass es sich im vorliegenden Fall um keinen Spion handelt, sondern um einen dünnen, fußblasengeschundenen Weißen, der sich verirrte. Ich bin entlassen.
    Ich wandere zum Markt, finde die Trinkbude des freundlichen Mungul. Der Fernseher läuft, »les Actualités«, die Spätnachrichten, klären mich weiter auf. Sie zeigen Bilder vom Zustand des Landes nach den blutigen Verwüstungen. Sogar Tapeten und Waschbecken wurden von den Wänden gerissen und als Diebesgut auf dem Schwarzmarkt verkauft. Ich begreife, dass an eine Durchquerung Zaires nicht mehr zu denken ist. Mein Plan, auf dem Kongo in den Süden des Landes zu gelangen, ist ab sofort hinfällig, jeglicher Schiffsverkehr wurde eingestellt. Und der Landweg bietet keine Alternative. Die Regenzeit dauert in diesem Jahr länger als üblich. Man zeigt im Morast versunkene Laster, verlassen, bis zur nächsten Trockenzeit aufgegeben. Gespräche mit anwesenden Lkw-Fahrern bestätigen die eindeutigen Bilder. Manche sitzen seit Wochen fest, warten. Die zweitausend Kilometer nach Lubumbashi könnte ich schaffen, meint einer, »in Unterhosen und in drei Monaten«. Die Unterhosen spielen auf die Raubritterzeiten hierzulande an. Ein einziges Paar bliebe mir. Den Rest meines Eigentums hätte man inzwischen beschlagnahmt.
    Am nächsten Morgen geschieht etwas, was auf unübertrefflich absurde Weise den Zustand des Landes beschreibt. Frühstück, es gibt kein Brot, keine Butter, keine Marmelade, keine Milch, keine Früchte, nichts, fast nichts. Nur Kaffee, Zucker und zwei Spiegeleier. (Die Eier von mir besorgt.) Das ist nicht witzig. Das wird es erst, als mir der Rezeptionist auf die Schulter tippt und um meinen Kaffeelöffel bittet. Der sei der einzige im Haus und die anderen zwei Gäste würden auch gern mit ihm umrühren. Fast gleichzeitig prusten wir los, erkennen unter Gewieher den Aberwitz der Situation. Drei Meter neben uns, hinter dem großen Fenster, liegt ein Land, so dunkelgrün, so üppig und wuchernd wie keine zehn anderen Länder im Universum. Und die Realsatire hört nicht auf. Kurz darauf erklingt im Radio, wie jeden Tag um diese Zeit, »La Zaïroise«, die Nationalhymne: »Nach vorn, stolz und voller Würde, großes Volk, für immer freies Volk … um aufzubauen ein immer schöneres Land.«
    Flugzeuge fliegen noch, vereinzelt. Ich gehe zum Air-Zaïre-Büro. Das klappt. Für siebzig Millionen gäbe es einen Flug über Kinshasa, die Hauptstadt, nach Lubumbashi im Süden. Nicht heute, da verschoben, Benzin fehlt. Aber morgen. Auch nicht. Aber übermorgen. Wieder nicht. Aber überübermorgen, dann ja.
    Dazwischen stille Tage in Gbadolite. Hier in der Äquatorprovinz lebt Mobutus Stamm. Deshalb blieb der Ort von Plünderungen verschont. Dennoch sind alle Mitarbeiter westlicher
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