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Lesereise - Afrika

Lesereise - Afrika

Titel: Lesereise - Afrika
Autoren: Andreas Altmann
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brüllend die Fahrgäste ranschaffen. Dann los. Während Maman neben mir die Windeln ihres allerletzten Sohnes wechselt, muss ich an ein Gespräch mit Mister F. denken, den ich im ersten Hotel von Bangui traf. Mister F. gehört zu jenen »overpaid and overfat« UNO -Beamten, die per Businessclass die Dritte Welt besuchen, um famos nutzlose Statistiken zu verfassen. Der gepflegte Herr nahm auch das Wort von der »Unterbevölkerung Afrikas« in den Mund.
    Mit solchen Reden steht er nicht allein. Immer wieder stoße ich auf diesen fulminanten Stuss. Geht er doch von der Voraussetzung aus, dass man noch weitere hundert Millionen Afrikaner auf dem Kontinent abstellen könne. Dass kein Anlass zur Sorge bestehe, wenn jeder Frauenunterleib nur auf die Welt komme, um als schneller Brüter zu agieren.
    Was für ein gerissener Rassismus. Weil hinter seiner bestechenden Toleranz ein Abgrund von souveräner Verachtung schwelt. Als ob es nur – schon da scheitern wir – darum ginge, die Mägen der Hungerleider abzufüllen. Aber vielleicht hat der arme (schwarze) Teufel noch ein anderes Bedürfnis, als sich satt zu fressen. Vielleicht überkommt ihn irgendwann die (weiße) Lust, allein sein zu wollen, Platz zu haben, eine menschenwürdige Arbeit zu erledigen und sich hinterher auf ein sauberes Bettlaken zu legen. Und die einzige Antwort auf diese bescheidenen Träume – eingedenk der Tatsache, dass wir Menschen sind und die Anforderungen an unsere Menschlichkeit nicht überziehen sollten –, diese einzige Antwort ist das Anhalten einer außer Rand und Band geratenen Menschenexplosion.
    Aber Afrika lehrt noch etwas anderes. Dass manches Desaster seine wohltuenden Seiten hat. Diesmal drängt das Gewimmel in unserem Fahrzeug so unausweichlich, dass die aparte Désirée (kann ein Name wahrer sein?) nicht anders kann, als sich an mich zu schmiegen, und mit Anmut ihre Arme auf meine Arme legt. Neu ist auch, dass wir von Polizeipatrouillen nach Waffen durchsucht werden, da Wilderer durch die Gegend ballern. Einmal müssen wir fluchtartig hinaus, weil heißer Dampf vom Boden aufsteigt. Bei einem der Stopps entdeckt Fahrer Jacky ein Leck im Benzintank. Also reißt er einen Strauch vom Straßenrand, stampft die Wurzel mit seinen Füßen weich, spuckt hinein, verwendet den Brei als Dichtungsmasse.
    Übernachtung in Bambari. Als ich mit der Öllampe in der Hand eine Bude der Auberge Kahil betrete, überkommt mich ein sentimentales Gefühl der Dankbarkeit meinem Körper gegenüber. Weil mir klar wird, welche Löcher, Fallen, Nasszellen und Abtritte ich ihm schon zugemutet habe und er nie murrte, immer es hinnahm, immer zu mir hielt.
    Am nächsten Nachmittag Ankunft in Mobaye. Reza, der hier einen Laden besitzt, wechselt meine restlichen CFA . Zudem will mir der Iraner ein Huhn verkaufen. Leider passt es nicht in den Rucksack, ohne Huhn steige ich auf sein Moped, Reza bringt mich die letzten Kilometer zum Grenzfluss Oubangui.
    Ich bin noch beim Absteigen, da rennt ein Dutzend Jugendlicher auf mich zu, sie schreien, rempeln, zerren mich zu ihren Pirogen. Nach Zaire will keiner, ich bin seit Tagen die erste Kundschaft. Wie überraschend, als ich mich für Ibrahim und Dodo entschieden habe, sind die anderen zehn sofort still, schreien nicht mehr, lächeln, lachen, winken hinterher.
    Schöne, schönste Überfahrt. Afrika reißt in Extreme. Jetzt gibt es den breiten Fluss, die sanfter werdende Sonne, die glitzernden Wellen. Und natürlich die beiden eleganten Paddler, die mittendrin einen neuen, den doppelten Preis, vorschlagen. Damit Frieden auf Erden herrscht und sie mich nicht auskippen zwischen den sanften Stromschnellen, bin ich mit allem einverstanden.
    Zwanzig Minuten später Ankunft in einem der größten und reichsten Länder der Welt. Da Zaire vierhundertfünfzig Jahre lang von weißen Eroberern – zuerst von Portugiesen, dann Belgiern – wundgeprügelt wurde, fand kein Lernprozess statt, um mit diesem Reichtum umzugehen. Seit 1965, das Land ist bereits unabhängig, prügelt ein anderer drauflos. Diesmal ein Schwarzer. Er heißt Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa Zabanga – »Mobutu auf alle Zeit, der Hahn, der keine Henne unbestiegen lässt« – und zählt zu den rafflüsternsten Hanswursten des 20. Jahrhunderts. So degenerierte der über zwei Millionen Quadratkilometer riesige Erdteil zu einem erbärmlichen Land. Mobutus Beute, sein Privatvermögen, entspricht in etwa der Auslandsverschuldung seines Landes: neuntausend Millionen
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