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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche
Autoren: Sigrid Ramge
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Bankraub in Fabians Rucksack gefunden worden waren.
    Irma hatte oft an den Jungen gedacht und sich mehr als einmal in seine Situation hineinversetzt. Sie wusste, dass für einen Achtzehnjährigen, der unschuldig einsaß, die Untersuchungshaft ein Horror war. Außer bei den Hofgängenmussten U-Häftlinge Tag und Nacht in der Zelle verbringen. In Zellen mit einem kleinen vergitterten Fenster, Metallstockbetten, Toilette und Waschbecken hinter einer schwenkbaren Holzwand. Das Essen wurde durch die Türklappe geschoben. Die letzte Mahlzeit hieß Abendessen, obwohl es schon um 15.30 Uhr ausgeteilt wurde. Ab 16 Uhr war Nachtruhe bis frühmorgens um halb sechs.
    Irma wusste auch, dass die meisten Nächte keineswegs ruhig waren. Viele Häftlinge schrien und randalierten oder versuchten, sich von Zelle zu Zelle zu verständigen, durch Wände, die zwar dick, aber nicht schalldicht waren.
    Fabian teilte sich die Zelle mit drei Gefangenen. Sie waren nur ein paar Jahre älter als er. Zwei davon saßen wegen Rauschgiftdelikten, einer wegen eines Tankstellenüberfalls. Die vier waren miteinander eingepfercht und aufeinander angewiesen. Tag und Nacht!
    Was Irma nicht wusste: Fabian wurde von seinen Knastbrüdern gemobbt. Sie waren sich darin einig, dass sie ihn gern weinen sahen.
    Fabian lag die meiste Zeit auf dem Bett, starrte an die Decke und versuchte sich auszuknipsen. Er stand nur auf, um etwas zu essen. Er kämmte sich die Haare nur, wenn er Besuch bekam. Seine Mitinsassen zogen ihn wegen des Aufwandes auf, der dazugehörte, wenn er abgeholt wurde, um in den Besucherraum geführt zu werden. Sie nannten das »Der Metzger gibt Audienz!«, denn vor einer voll belegten Vierbettzelle mussten fünf Polizisten postieren, bevor ein Aufseher die Tür öffnete.
    Fabian bekam Besuch von Ariadne. Seine Eltern wollten ihn nicht sehen. Sie genierten sich für einen Sohn, der im Gefängnis saß.
    Irma wusste, dass Fabian, hätte er bis zu seinem Prozess durchhalten müssen, während der Verhandlungszeit den Medien ausgeliefert worden wäre. Er wäre gebrandmarkt gewesen, auch wenn sich seine Unschuld herausgestellt hätte. Irma freute sich mehr über den Unschuldsbeweis für Fabianals über die Tatsache, dass Brünnhilde Kurtz endlich überführt war.
    Schmoll, der auch in Gedanken versunken gewesen war, hob plötzlich den Kopf und fragte unvermittelt: »Hat nicht der Bundesgerichtshof kürzlich ein Urteil aufgehoben, weil das Geständnis des Beschuldigten auf einem Selbstgespräch basierte?«
    Irma und Katz war anzusehen, wie ihre gute Laune unter dieser Mitteilung wegbröckelte. Ihre Euphorie verschwand gänzlich, als Schmoll die Sache genauer erklärte.
    »Das Bundesgericht hat entschieden, dass bestimmte Selbstgespräche unter keinen Umständen als Beweismittel verwendet werden dürfen. Auch nicht in einem Mordprozess.«
    Irma sagte mit betretener Miene: »Oh nee. Aber jetzt fällt es mir auch wieder ein. Meinst du den Fall, in dem der Beschuldigte in seinem von der Polizei verwanzten Auto vor sich hingeredet hat? Einer seiner Sätze wurde als Geständnis gewertet, seine Ehefrau umgebracht zu haben. Es war der letzte Beweis in einer Indizienkette, aus dem diesem Verdächtigen dann der Strick gedreht wurde.«
    Schmoll nickte. »Genau den Fall meine ich. Der Bundesgerichtshof hat entschieden: Gedanken sind frei. Dazu hat er nicht nur innere Denkvorgänge gezählt, sondern auch Selbstgespräche. Ist euch klar, dass Gedanken zum innersten, unantastbaren Bereich jedes Menschen gehören? Ein Bereich, auf den der Staat keinesfalls zugreifen darf.«
    »Die Gedanke send frei!«, echote Katz.
    »Du hast es erfasst, du Cleverle«, sagte Schmoll. »Laut Grundgesetz sind Selbstgespräche nicht etwa nur im trauten Heim geschützt, sondern überall dort, wo sich ein Mensch unbeobachtet und allein fühlen kann.«
    Irma stöhnte.
    Katz brummte: »Scheener Scheiß, des!«
    Schmoll grinste. »Also, nun werdet nicht gleich depressiv und ordinär. Ich wüsste nicht, wo geschrieben steht, dass esverboten ist, Frau Kurtz die Aufzeichnung mit ihrem Geständnis vorzuspielen. Ihre Reaktion wird sie verraten und ich bin mir sicher, unsere Walküre wird vor Wut noch einiges ausplaudern.«
    Als Schmoll gemeinsam mit Brünnhilde Kurtz das Tonband angehört hatte, benahm sie sich weniger wie eine Walküre, sondern wie eine Furie. Zuerst verschlug es ihr die Sprache und sie fiel in krampfartige Zuckungen, die einem epileptischen Anfall ähnelten. Ihre Augen quollen
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