Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leipziger Affären - Kriminalroman

Leipziger Affären - Kriminalroman

Titel: Leipziger Affären - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
Vom Netzwerk:
in die Kopfhöhle, sodass weder Wasser eindringen noch die Verwesungsgase aus dem Hirnbereich austreten konnten, vermutete ich. Das entstandene Vakuum zwischen Schädeldecke und künstlichem Pfropfen füllte sich mit fauligem Gas und ließ den Kopf auf der Meeresoberfläche tanzen.
    »Sieht fast aus wie ‘ne Qualle.«
    Das war einmal mehr Lotte, die nahm nie ein Blatt vor den Mund, sie band sich gerade eine alte Küchenschürze um. Fast jeder kannte und mochte die Nannsen vor allem wegen ihrer exquisiten Fischbrötchen, die waren nicht nur hier unten am Pier des Alten Hafens konkurrenzlos, die hatten mittlerweile einen Ruf weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus.
    »Wenn du nur lang genug auf die See schaust«, fabulierte Lotte (im Original natürlich auf Plattdeutsch) mit schlauer Zunge zwischen ihrer großen Zahnlücke hindurch, »dann schwimmen irgendwann die Leichen deiner Feinde an dir vorbei.«
    Ich schrieb das auf, verstand es aber nur ungefähr. Auch Hansen guckte, als sei das Chinesisch gewesen.
    »Was meinst du damit, Lotte?«
    »Altes Mecklenburger Sprichwort!«
    Sie grinste und kratzte sich am Kopf.
    »Kennst du vielleicht den … den Namen zum Kopf?«
    »Nö, kenn ich nicht. Aber die Piratenbinde spricht Bände.«
    »Die was?«
    »Na, die olle schwatte Klüsenklappe!«
    »Wieso?«, entfuhr es mir.
    »Na, das ist einer von den Störtebeker Söhnen!«
    »Die wer?«
    Hansen wurde neugierig, er kletterte mit Lotte und mir im Schlepptau zurück auf ihren Kahn und wies mich an, alles Weitere aufs Genaueste zu protokollieren. Hätte der Chef gar nicht so betonen müssen, das war selbstredend.
    Lotte Nannsen begann mit einem kleinen scharfen Messer flink und routiniert ihren Frischfisch zu schuppen und auszunehmen.
    Sie hätte schon öfter und meistens weiter unten am Kai eine über die Monate wachsende Gruppe von jungen Männern beobachtet, die allein dadurch auffielen, dass sie ausstaffiert seien wie die Seeräuber.
    »Ein gutes Dutzend sind das«, ergänzte sie mit dem Küchenmesser in der Luft nachzählend.
    »Und das ist kein Seemannsgarn?«, fragte Hansen ungläubig.
    »Wo denkst du hin, Olaf. Hab ich das nötig?«
    Olaf Hansen war einer von Lottes Stammkunden, regelmäßig speiste er hier zu Mittag, meist Pfeffermakrele im Brötchen mit Bier, oder nahm sich fangfrischen Fisch zum Abendbrot mit nach Hause. Daher kannten sich beide schon gut und hatten in den letzten Monaten ein herzliches und vertrautes Verhältnis zueinander aufgebaut.
    »Und was machen die, die See … die … Seeräuber?«
    »Na, nichts Genaues weiß man nicht. Nur dass sie so Tücher um den Kopf tragen.«
    Sie unterbrach ihre Arbeit und deutete mit der Messerspitze hinüber zum Schädel auf der Kaimauer. »Und manche tragen auch solche Klüsenklappen! Oder sie haben Säbel dabei und so komische Pluster- oder Pumphosen.«
    »Und dann?«
    Hansen guckte Lotte begierig an, wenn man das in Anbetracht ihres Alters so ausdrücken durfte.
    »Die haben da ein Boot liegen, den modernen Holzkahn dahinten, von hier aus gesehen gleich hinter der schwarzen Hansekogge.«
    Sie zeigte noch einmal die Hafenanlage hinunter und wies auf eines der dort vertäuten Segelschiffe.
    »Da hocken sie denn drauf oder basteln dran herum oder fahren raus und machen einen Törn und kommen dann wieder zurück. Mehr weiß ich nicht, Olaf. Ehrlich.«
    Hansen war ganz Ohr und schien von der Beobachtungsgabe seiner Fischverkäuferin begeistert zu sein.
    Begleitet von gierigem Möwengezeter kippte Lotte jetzt einen kleinen Plastikeimer voller Schuppen und Eingeweide flugs über die Reling ins Hafenbecken, und zwar ziemlich genau an der Stelle, wo vorhin noch der tote Kopf gedümpelt hatte. Das war eine klare Ordnungswidrigkeit und, wenn ich mich richtig erinnerte, nicht erst seit gestern verboten. Das hätte eine saftige Strafe von bis zu fünftausend Euro zur Folge haben können …
    »Aber Lotte, das ist doch eine ganze Menge, was du da beobachtet hast. Kommen Sie, Kubsch, den Kahn schauen wir uns aus der Nähe an.«
    Wir kletterten vom Boot und waren schon fast auf dem Kai, da rief uns Lotte aufgeregt hinterher: »Kann ich nun endlich meinen Kutter aufmachen und Fischbrötchen verkaufen, oder habt ihr noch was?«
    Das Geschäft musste laufen, der Kommissar hatte nichts dagegen. Lotte zeigte dankbar ihre große Zahnlücke – einmal mehr ein entsetzlicher Anblick, aber das nur nebenbei.
    Am Pier mussten die Spurensucher eine Absperrung aufbauen, denn die ersten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher