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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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hinter dem Fenster an ihm vorbei.
    Er war auf dem Weg zu seinen Töchtern, um sie aufzuklären über das, was wirklich passiert war.
    Nichts zwischen ihm und Ivy würde sich verändern. Die Zuneigung für Veronika, diese einzigartige Frau, würde sie verbinden.
    Oben, in Findhorn, war seine Frau unermüdlich auf den schmalen Wegen unter den tief hängenden Ästen der Trauerweiden unterwegs gewesen, während er mürrisch vor dem Trailer auf einem Klappstuhl gesessen und den Guardian gelesen hatte, um sich über die Nachrichten den Kopf zu zerbrechen. Nie war er auf ihre Begeisterung eingegangen, hatte sich geweigert, mit den anderen zu reden, den Morgenkreis zu begehen oder im Café auszuhelfen. Die Sommerferien, seine kleinen Mädchen, all das schien nichts mit ihm zu tun zu haben. Das einzige Unglück hatte für ihn darin bestanden, nicht zu Hause an seiner Forschungsarbeit tüfteln zu können.
    Er war auf dem Weg, seinen Töchtern die Wahrheit zu sagen. Nicht ihre Mutter war am Leben gescheitert, sondern sie, sie beide.
    Morgen würde er zurückkehren zu Heidi, und ihr das geben, was er über all die Jahrzehnte für sich behalten hatte.
    Anfang der Achtziger hatte er, aus welchem Grund, wusste Walter nicht mehr, oben auf der Pritsche im Zeichenzimmer gesessen. Gedankenverloren, mit Veronikas meergrüner Strickjacke über den Knien. Niemals hätte sie ihn verlassen, sie wollte ihm und den Mädchen nicht die Familie nehmen. Sie hatte nur nach etwas gesucht, worum sie Walter so lange gebeten hatte. Lächelnd war Veronika durch den schmalen Türspalt ins Zimmer gehuscht und war eng an Walter gerutscht. Er konnte ihren feinen Duft fast riechen. Sie hatte seine Hand genommen und sie leicht gedrückt. Und mit dieser Berührung war eine gewaltige Welle sattester Freude durch Walter geschossen. Seine Frau hatte ihm das sommersprossige Gesicht zugewandt und geflüstert: »Hör nicht auf, deine Frau zu lieben. Hör niemals damit auf.«
    Um neun Uhr fünfzig saß Ivy ganz hinten im Flieger auf Platz 28c. Die beiden Plätze neben ihr waren noch nicht besetzt. Obwohl die Maschine erst in zwanzig Minuten starten würde, war sie bereits fest angeschnallt. Das graue Plastikrollo vor dem Fenster hatte sie vorsichtshalber heruntergezogen. Sollte sich kein Passagier auf den freien Fensterplatz setzen, wollte sie nicht Gefahr laufen, während des Starts aus Versehen doch noch durch die Scheibe zu gucken und entsetzt auf Londons Architektur aus achttausend Metern Höhe zu starren. Auf ihrem Schoß lag das in roten Soff eingebundene Fotoalbum, in das sie noch immer nicht hineingesehen hatte. Zumindest hatte sie es geschafft, ihrem Vater eine SMS mit der erleichternden Botschaft zu schicken, dass sie das verzweifelt gesuchte Objekt gefunden hatte. Die Zugfahrt zum Flughafen hatte sie damit zugebracht, zwischen Fahrgäste eingeklemmt im Anti-Flugangst-Ratgeber, mit dessen Hilfe Woods Frau es geschafft hatte, nach Sardinien zu fliegen, die wichtigsten Kapitel zu lesen und sie sich beinahe wortwörtlich einzuprägen:
    – Wenn alle Triebwerke ausfallen.
    – Wenn die Tragflächen abfallen.
    – Wenn der Pilot versagt.
    – Wenn schwere Turbulenzen herrschen.
    In der inzwischen stark ramponierten Harrods-Tüte, die neben ihr auf dem freien Sitzplatz stand, lag die pinkfarbene Polly-Pocket-Dose, die sie Lucy am Nachmittag im Krankenhaus, bei ausgeschaltetem Fernseher, überreichen wollte. Ivy griff hinein und zog das knubbelige Plastikherz hervor. Wie einzigartig und vollkommen damals der Moment gewesen war, in dem Cynthia, die Freundin ihrer Mutter, ihr dieses besondere Ding aus London überreicht hatte. Ivy hatte im Garten gesessen, unter den Apfelbäumen, auf dem Schoß ihrer Mutter. Sie hatte das Herz wieder und wieder gestreichelt und geküsst und sich vorgenommen, es niemals zu verlieren. Von ihrem Vater hatte sie sich damit vor dem Brunnen posierend fotografieren lassen, um sicherzustellen, dass es niemals aus ihrem Leben verschwinden würde. Wie das Fotoalbum hatte sie das handtellergroße Plastikherz ebenfalls noch nicht geöffnet. Diesen speziellen Augenblick wollte sie voll auskosten. Tatsächlich hatte der Anti-Flugangst-Ratgeber es geschafft, Ivy so weit zu beruhigen, dass sie, obwohl sie im Flieger kurz vor dem Abflug saß, zu normalen Handlungen fähig war, ohne dabei von panikartigen Symptomen beeinträchtigt zu werden. Lediglich ihr Herz schlug etwas heftiger. Zu ihrer eigenen Verwunderung schaffte Ivy es sogar, sich nicht
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