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Leichenschrei

Titel: Leichenschrei
Autoren: Vicki Stiefel
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Weg langsam wieder hinunterging, setzte Noah zurück und wendete in der Auffahrt.
    Meine Füße fühlten sich an wie Blei. Der gute Scooter – Joy liebte und schützte ihn, so gut sie nur konnte. Ihr kleines Genie hatte sie ihn genannt, und dann hatte sie über seine große Zukunft gesprochen, darüber, dass er es nach Harvard schaffen würde. Sie war besessen von Keimen, als ob das einen Unterschied machen würde. Ich sah ihn vor mir, wie er auf seinem Dreirad herumgestrampelt war, wie er lachend mit meinen Schlüsseln gespielt hatte. Es war dieses Lachen, bei dem er die Augen vor Freude fast geschlossen hatte, das schließlich alles erklärte.
    Beim Knall des Schusses zuckte ich zusammen, fuhr herum und sah Noah gegen das Lenkrad sinken. Der Jeep schlingerte und krachte dann auf der anderen Straßenseite gegen einen Ahorn.
    Ich sprang auf den Jeep zu.
    »Stopp, Tally! Und jetzt langsam umdrehen.«
    Als ich es tat, stand Joy auf dem Gartenweg und zielte mit einer großkalibrigen Handfeuerwaffe auf mich. Sie hielt Scooter noch immer fest an ihre Hüfte gedrückt. Er weinte und hielt sich die Ohren zu.
    Will starrte seine Frau mit offenem Mund an. »Joy, Liebes?«
    »Er war es«, sagte Joy. »Noah. Und Tally wollte ihn entkommen lassen.«
    Ihr Gesicht war starr, ihr Blick abwesend. Unauffällig schob ich meine Hand in die Tasche und tastete nach dem Pfefferspray. Vorsichtig ging ich auf die Familie zu. »Dabei war es gar nicht Noah, stimmt’s, Joy?«
    Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Die Sonne funkelte auf dem glänzenden Lauf der Waffe.
    »Geh rein, Will, und nimm Scooter mit.«
    »Aber …«
    »Mach schon.« Sie reichte Will den Jungen. Will sah mich lange an, als er Scooter in die Arme nahm.
    Scooter jammerte »Mama«, und ein schmerzvolles Zucken lief über Joys Gesicht.
    Jetzt waren da nur noch Joy und ich. Dafür, dass es sich um solch eine schwere Waffe handelte, hielt Joy sie erstaunlich still.
    »Haben Sie Gary so zu dem schwarzen Stein da draußen gebracht?« Ich versuchte, ihren Blick zu erhaschen, aber sie wich mir aus. »Reden Sie mit mir, Joy. Damit ich Sie verstehe.«
    Sie bedeutete mir mit der Pistole, dass ich weitergehen sollte.
    »Sie verstehen das.«
    Eine Psychose zu begreifen ist nicht ganz leicht. Aber Joys meinte ich tatsächlich zu verstehen, zumindest teilweise. »Ihre beste Freundin sollte ein Baby von Drew bekommen. Noch ein Huntington-Baby.«
    Sie hielt inne. »Was meinen Sie mit ›noch eins‹?«
    »Scooter.« Sie wollte mir immer noch nicht in die Augen schauen. Ein schlechtes Zeichen. »Er ist von Drew, nicht von Will, stimmt’s? Ist es passiert, als Drews Ehe in die Brüche ging?«
    »Wir waren uns in dem CVJM-Gremium so nahegekommen, und er brauchte mich, und da …«
    »Aber Lauras Kind hätte die Krankheit vielleicht nicht bekommen.«
    »Sie hatte kein Recht dazu. Sie war doch meine gute und vertraute Freundin. Meine beste Freundin. Die Einzige, die von meiner Affäre mit Drew wusste.«
    »Wusste sie auch, wer wirklich Scooters Vater war?«
    »Natürlich. Ich habe es ihr gesagt. Und da ist sie richtig sauer geworden. Sie war eifersüchtig auf mein Kind, auf Drew. Deshalb ist sie auch schwanger geworden, obwohl sie wusste, dass auch ihr Kind die Krankheit erben konnte. Sie sagte, dass Scooter nicht zählt. Die Chancen ständen gut, dass ihr Kind gesund wäre, obwohl mein Scooter sterben würde. Und das wird er auch. Ich habe ihn testen lassen.«
    Sie schluchzte. Ein schreckliches Geräusch. Tränen strömten ihr über die Wangen, und die Pistole zitterte.
    Ich streckte die Hand nach ihr aus. »Joy, ich will …«
    »Zurück«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Verflucht soll sie sein! Laura war wie eine Zwillingsschwester. Wir haben alles zusammen gemacht. Aber sie hätte nicht schwanger werden dürfen. Als sie mir davon erzählte, war mir klar, dass sie abtreiben musste. Nicht noch mehr kranke Babys. «
    Endlich kapierte ich. Zu spät. Viel zu spät. »In der Nacht ihres Todes haben Sie noch beim Giddyup vorbeigeschaut, nachdem Sie Scooters Medizin abgeholt hatten. Vielleicht wollten Sie sich ja bei Laura und Gary entschuldigen, dass Sie nicht wie verabredet kommen konnten.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte Joy.
    »Das ist nicht schwer, Joy, wenn alles einen Sinn ergibt. Alles fügt sich zusammen. Allerdings war Gary nicht da. Nur Laura, und zwar auf dem Parkplatz. Allein. Sie war sauer, weil Gary sie hatte stehen lassen, und hat Sie darum
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