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Leichenblässe

Titel: Leichenblässe
Autoren: Simon Beckett
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treten.»
    Tom hatte offenbar keine Bedenken. «Mach dir keine Sorgen. Wenn jemand fragt, sagst du, dass du zu mir gehörst.»
    Wir stiegen aus dem Wagen. Im Gegensatz zur Stadt war die Luft frisch und sauber und roch nach wilden Blumen und Lehm. Die
     tiefstehende Nachmittagssonne strahlte durch |26| die Äste und ließ die grünen Knospen wie dicke Smaragde funkeln. In dieser Höhe und im Schatten der Bäume war es ziemlich
     kühl, was die Erscheinung des Mannes, der auf uns zukam, noch seltsamer machte. Er trug Anzug und Krawatte, hatte sich das
     Jackett jedoch über den Arm gelegt, sodass man die dunklen Schweißflecken auf seinem hellblauen Hemd sehen konnte. Sein Gesicht
     war rot und erhitzt, als er Tom die Hand schüttelte.
    «Danke, dass du gekommen bist, Tom. Ich wusste nicht, ob du noch im Urlaub bist.»
    «Nicht mehr.» In der Woche vor meiner Ankunft waren Tom und Mary gerade erst aus Florida wiedergekommen. Er hatte mir erzählt,
     dass er sich noch nie in seinem Leben so gelangweilt hatte.
    «Dan, ich möchte dir Dr.   David Hunter vorstellen. Er besucht gerade unser Institut. Ich habe gesagt, es wäre in Ordnung, wenn er mitkommt.»
    Das war nicht als Frage formuliert. Der Mann wandte sich an mich. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig, sein wettergegerbtes,
     abgehärmtes Gesicht war von tiefen Falten durchzogen. Das ergraute Haar war kurz geschnitten und wie mit einem Lineal gescheitelt.
    Er reichte mir die Hand. Sein Griff war fest genug, um eine Herausforderung zu sein, die Haut fühlte sich trocken und schwielig
     an.
    «Dan Gardner. Ich bin der verantwortliche Special Agent. Freut mich, Sie kennenzulernen.»
    Ich vermutete, sein Titel entsprach dem eines leitenden Ermittlungsbeamten in England. Er sprach mit dem unverwechselbaren,
     nasalen Singsang Tennessees, seine Gelassenheit war jedoch trügerisch. Sein Blick war stechend und wachsam. Abschätzend.
    |27| «Und, was habt ihr?», fragte Tom und griff nach seinem Equipment im Heck des Kombis.
    «Lass mich das machen», sagte ich und hob den Koffer für ihn heraus. Narbe hin oder her, ich war besser in Form als Tom. Dieses
     Mal entgegnete er nichts.
    Der TB I-Agent wandte sich zum Pfad um, der durch die Bäume führte. «Die Leiche liegt in einer Ferienhütte. Der Verwalter hat sie heute
     Morgen gefunden.»
    «Definitiv Mord?»
    «Allerdings.»
    Er beließ es dabei. Tom schaute ihn neugierig an, fragte aber nicht nach Einzelheiten. «Schon identifiziert?»
    «Wir haben eine Brieftasche mit Kreditkarten und einen Führerschein gefunden, aber wir können nicht mit Sicherheit sagen,
     ob sie dem Opfer gehörte. Die Leiche ist schon viel zu verwest, um irgendetwas mit dem Foto anfangen zu können.»
    «Irgendeine Ahnung, wie lange sie schon hier ist?», fragte ich, ohne nachzudenken.
    Gardner runzelte die Stirn, und ich erinnerte mich daran, dass ich nur hier war, um Tom zu helfen. «Ich hatte gehofft, das
     könnt ihr uns sagen», antwortete der TB I-Agent eher an Tom als an mich gerichtet. «Der Pathologe ist noch hier, aber er kann uns nicht viel erzählen.»
    «Wer ist der Pathologe? Scott?», fragte Tom.
    «Nein, Hicks.»
    «Aha.»
    In der Art, wie Tom es sagte, lag eine Fülle von Bedeutungen, von denen keine schmeichelhaft war. Aber im Moment beunruhigte
     mich eher, wie er sich den steilen Pfad hinaufquälte.
    «Einen Augenblick», sagte ich, stellte seinen Koffer ab und tat so, als würde ich mir die Schnürsenkel binden. Gardner |28| sah sich verärgert um, Tom holte jedoch erleichtert Luft, während er vorgab, seine Brille zu putzen. Dann betrachtete er vielsagend
     die dunklen Schweißflecken auf dem Hemd des Polizisten.
    «Entschuldige, dass ich frage, Dan, aber ist alles in Ordnung mit dir? Du siehst ein bisschen   … na ja, fiebrig aus.»
    Gardner schaute hinab auf sein durchnässtes Hemd, als würden ihm die Flecken erst jetzt auffallen. «Sagen wir mal, es ist
     ziemlich heiß dadrinnen. Wart’s ab.»
    Wir marschierten weiter. Der Pfad wurde ebener und führte vom Wald auf eine Lichtung. Von einem mit Unkraut überwucherten
     Schotterweg zweigten Pfade zu den zwischen den Bäumen versteckten Hütten ab. Wir gingen zu einer Hütte am äußersten Rand der
     Lichtung, die ein gutes Stück abseits von den anderen lag. Sie war klein, die Holzwände waren verwittert. Der Weg, der zu
     ihrer Tür führte, war mit einem leuchtend gelben Flatterband abgesperrt, auf dem in großen schwarzen Buchstaben POLICE LINE,
     DO NOT CROSS stand.
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