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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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schwarzem Mantel mit violettem Schal. Beim Aufknö p fen offenbarte sie Hüftmassen, auf denen der graue Ka r riererock falsche Falten schlug. Sie war eindeutig jünger als er, sagen wir 32 Jahre alt. In den Ohrläppchen stec k ten kleine rote Steine.
    Sie hieß Sonja Depper.
    Ich nahm mein Bierglas von der Theke und folgte meiner Liebeskomplikation mit Tussi an einen der ru n den Holztische unter Kupferlampen. Richard zog den Kamelhaarmantel aus. Er bewegte sich wieder mal so geschmeidig, als sei der cognacfarbene Dreiteiler sein b e quemster Freizeitanzug. Gewöhnlich waren Frauen sofort hin und weg von ihm und fragten sich zugleich, ob der mächtige Oberstaatsanwalt für Wirtschaftsstrafsachen beim Landgericht Stuttgart schwul war. Es lag an dem schwer zu enträtselnden Widerspruch zwischen Richards kraftvoller Männlichkeit und seiner für Männer untyp i schen Delikatesse in Kleiderfragen. Nur etwas klein war er geraten, das war vielleicht ein Manko, vor allem für eine Walküre im verrutschten Karrierekostüm. Man wusste ja, kleine Männer waren aggressiv.
    Sally brachte ein Viertele Lemberger für Sonja und ein Jever fun für Richard.
    Sie war Familienrichterin, wie sich alsbald herausstel l te, denn sie gehörte zu den Frauen, die gern spitzmäulig und verächtlich über andere urteilten. »Ausgerechnet die Bi l dungsfernen und geistig Minderbemittelten kriegen Ki n der wie die Karnickel!«
    »Im Grundgesetz ist nicht festgelegt, welchen IQ E l tern haben müssen«, bemerkte Richard unwirsch.
    »Vom IQ rede ich nicht, Herr Dr. Weber …«
    Also nicht nur per Sie, sondern sogar noch per Doktor, registrierte ich.
    »So gut müssten Si e mich doch kennen, mein Li e ber  …«
    Ouuu!
    »… dass Sie wissen, dass ich keine von denen bin, die meinen, nur wer Abitur hat, dürfe sich zur Gattung des Homo sapiens zählen. Viel wichtiger sind Herzensbi l dung, Verantwortungsbewusstsein und Lustkontrolle. Und da sitzen Mütter vor mir, die stinken nach Bier! En t zug abgebrochen. Die Wohnung total vermüllt. Das ga n ze Geld geht für Drogen drauf, aber sich beklagen, dass Obst und Gemüse so teuer sind. Es gibt vier Tafelläden in Stuttgart, sage ich immer! Aber da müsste man ein paar Meter zu Fuß gehen und sich an Öffnungszeiten halten. Zu so etwas hat ein Hartz-IV-Empfänger natü r lich keine Zeit! Sie glauben gar nicht, wie viele Mütter allein mit dem Haushalt hoffnungslos überfordert sind, geschweige denn mit der Kindererziehung.«
    Ich hatte ein Dej á -vu .
    »Aber uns beschimpfen. Sie glauben ja nicht, was ich alles zu hören kriege! Als ob der Staat irgendein Intere s se daran hätte, Kinder wegzunehmen.«
    »Sagen Sie, Frau Depper«, unterbrach ich das jurist i sche Fachgespräch. »Sie reden jetzt nicht zufällig vom Fall Tobias Habergeiß?«
    Die Familienrichterin musterte mich, als gehörte ich zu den Delinquentinnen aus dem Prekariat.
    »Da waren heute früh drei Damen vom Jugendamt bei Nina Habergeiß in der Neckarstraße, angeführt von einer gewissen Frau Hellewart.«
    Die Richterin hängte Schlösser vor ihre Mimik.
    »Ich wohne genau drunter. Deshalb habe ich es mitg e kriegt. Sie wollten den fünfjährigen Sohn mitnehmen.«
    »Sobald das Jugendamt von einer Kindeswohlgefäh r dung erfährt, ist es verpflichtet, das Kind unverzüglich in Obhut zu nehmen. Das gilt auch bei einem unverschuld e ten Versagen des Personensorgeberechtigten, zum Be i spiel nach Alkoholmissbrauch von Vater oder Mutter.«
    »Und wer entscheidet das?«
    »Zunächst das Jugendamt. Es kann auch ohne richte r liche Entscheidung handeln, wenn Gefahr im Verzuge ist. Das Familiengericht muss dann schnellstmöglich e i nen Beschluss fassen.«
    »Und die Eltern? Welche Möglichkeiten haben die?«
    »Hier geht es ausschließlich um das Wohl des Ki n des.«
    »Das heißt, die Eltern verlieren in jedem Fall vor G e richt?«
    »So würde ich das nicht ausdrücken.«
    »Gegen eine Maßnahme des Jugendamts«, stellte R i chard klar, »gibt es keine Rechtsmittel.«
    »Man kann beim Oberlandesgericht Beschwerde ei n reichen oder Berufung beantragen«, widersprach Sonja.
    »Bei einer Entscheidung des Familiengerichts, ja«, erwiderte Richard. »Aber bei einer Entscheidung des J u gendamts nicht. Das muss ich Ihnen doch nicht erklären, Frau Depper.«
    Die junge Richterin nahm den hochnäsigen Zunge n schlag des Oberstaatsanwalts mit einem halben Lächeln hin. Sie musste sehr verknallt sein!
    »Die Inobhutnahme eines Kindes«, erklärte
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