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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine
Autoren: Mit Teufelsg'walt
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gerettet, als ich neben ihr im Krankenhaus mit a l lergischem Schock abzudanken drohte, und das wollte sie jetzt vermutlich täglich gewürdigt wissen.
    Sally arbeitete hauptberuflich als Sekretärin in einer aktuellen Redaktion des SWR. Doch für ihre drei Katzen, die altersschwache Schäferhündin und den kleinen Luxus von Maniküre, Pediküre, Haarpflege und Rückenschule im Fitnessstudio bediente sie außerdem an drei Abenden im Tauben Spitz. Die schwäbische Weinstube im Boh ne n viertele zwischen Parkhäusern, Puffs und Hauptstr a ßen war zur Feierabendstunde nur noch halb so gut b e sucht wie vor dem Rauchverbot.
    »Noch ein Pils?«, erkundigte sich Sally geschäftsm ä ßig. »Bist du mit Richard verabredet?«
    »Nein, ich wollte zu dir, Sally!«
    »Ich muss schaffen.«
    »Und vielen Dank auch, dass du mir damals das Leben gerettet hast.«
    Sie riss die blauen Augen auf. »Was?«
    »Wenn du im Krankenhaus nicht die Ärzte gerufen hättest, dann wäre ich jetzt tot.«
    Sie lachte entrüstet. »Das wüsste ich aber!«
    »Aber du hast doch …«
    »Gar nichts hab ich.«
    Ich schluckte. »Erinnerst du dich nicht? Ich hatte den Unfall. Wir lagen auf demselben Zimmer im Katharine n hospital. Mein Gesicht war zerschnitten von der Win d schutzscheibe und mein Bein eingegipst. Das Fenster ging nach vorne raus auf die Unihochhäuser und den Stadtgarten. Das hast du mir damals erklärt. Ich kannte Stuttgart nur vom Schulausflug als Sündenpfuhl. Dann kam meine Mutter angereist. Erinnerst du dich nicht? Sie hat es sich nicht nehmen lassen, mir persönlich mitzute i len, dass mein Mann den Unfall nicht überlebt hat, sie hat es auf Katholisch gemacht: ›Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Wer weiß, wozu’s gut ist.‹ Eri n nerst du dich nicht daran?«
    »Doch.« Sally nickte.
    »Und ich habe mich so aufgeregt, dass die Ärzte mei n ten, sie müssten mir zur Beruhigung was ins Infusion s wasser tun. Darauf habe ich dann allergisch reagiert, und wenn du nicht …«
    Sally schüttelte die Locken. »Nein, so war das nicht. Du hast dich jesusmäßig über deine Mutter aufgeregt, aber es waren nicht die Medikamente. Du hast die Inf u sion rausgerissen, du wolltest aufstehen. Du bist total au s gerastet. Deshalb habe ich geklingelt. Die mussten dich festbinden und sedieren.«
    »Dann verdanke ich dir nicht mein Leben?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht!«
    Das änderte alles. Ich musste mein Leben von Grund auf überprüfen. Womöglich war alles falsch, was ich mir so über mich gemerkt hatte. Vielleicht hatte ich Mault a schen in der Brühe noch nie gemocht und teilte sie nur mit dem Löffel, weil ich im Dorf an der Schwäbischen Alb groß geworden war und mit meinem vernarbten G e sicht sonst in der Szene von Stuttgart keine Identität mehr g e habt hätte. Wieso überhaupt Narben? Man sah sie kaum noch. Ve r mutlich musste ich schon lange nicht mehr das Biest spi e len, den Mummenschanz im Dreiteiler mit Krawatte kon n te ich mir sparen. Im Rock hätte man mich trotz meines Gesichts und ohne alle Irritationen als Frau e r kannt.
    »Sag mal, Sally!«
    »Ja.«
    »Soll ich eigentlich so bleiben, wie ich bin?«
    Sie hielt inne – keine Ahnung, was sie gerade tat – und musterte mich. »Wieso?«
    »Du kennst doch Brecht: Ein Mann, der Herrn K. la n ge nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht veränderte – ›Oh!‹, sagte Herr K. und erbleichte.«
    Sie legte den Kopf schief.
    »Sally, du hast die einmalige Chance, mich umzum o deln. Du kannst jeden Wunsch äußern. Soll ich künftig die Regeln der gewaltfreien Kommunikation anwe n den?«
    »Was?«
    »Na, Ich-Botschaften und so Zeugs. Ich möchte, dass du mich wieder magst! Es macht mich traurig, dass du mir böse bist. Das heißt, eigentlich macht es mich kribb e lig.«
    Ein winziges Lächeln zuckte über Sallys Gesicht. »Dann kratz dich halt!«
    Gleich hatte ich sie wieder! Gleich … Aber da sche p perte die Lokaltür und mein Lebensabschnittsirrtum, Oberstaatsanwalt Dr. Richard Weber, betrat das Lokal. Sally zog Schulter und Brauen hoch. »Und hör zualle r erst auf mit deinen Halbwahrheiten! Von wegen, du bist w e gen mir hier.«
    »Richard ist mein Zeuge!«, rief ich. »Ich bin nicht ve r abredet mit ihm. Nicht wahr, Richard?«
    Er sagte nie etwas – schon gar nicht, wenn man ihn d i rekt fragte –, bevor er nicht die Situation durchschaut hatte. Außerdem folgte ihm auf dem Fuß eine Frau in
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