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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel
Autoren: Marie Lu
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bleibe sitzen, an die Wand gelehnt, die Arme auf den Knien. Mir ist nicht danach, für irgendwen den Entertainer zu geben. Mein Herz hämmert vor Aufregung und Angst, Nervosität und Sorge. Mein Anhänger steckt in meiner Tasche. Ich kann nicht aufhören, an John zu denken. Was werden sie mit ihm machen? June hat versprochen, mir zu helfen - sie muss auch irgendwas für John geplant haben. Hoffe ich.
    Wenn June mir bei der Flucht helfen will, lässt sie sich jedenfalls ziemlich viel Zeit damit. Und mein vorverlegter Hinrichtungstermin macht es ihr wohl kaum leichter. Bei dem Gedanken daran, in welche Gefahr sie sich dabei begibt, zieht sich meine Brust zusammen. Ich wünschte, ich wüsste, was sie herausgefunden hat. Was kann sie so sehr verstört haben, dass sie sich, trotz all ihrer Privilegien, gegen die Republik wenden würde? Und wenn sie mich angelogen hat ... Aber warum sollte sie mir vorlügen, mich retten zu wollen? Vielleicht mag sie mich ja. Ich lache leise in mich hinein. Was für ein Gedanke in einem solchen Moment. Vielleicht kann ich ihr ein Abschiedsküsschen abluchsen, bevor ich vor das Erschießungskommando trete.
    Eins aber weiß ich sicher. Selbst wenn Junes Pläne scheitern sollten, selbst wenn ich verlassen und auf mich allein gestellt bin, wenn sie mich zu meiner Hinrichtung führen ... ich werde kämpfen. Sie werden mich mit Kugeln vollpumpen müssen, bis ich still bin. Zitternd hole ich Luft. Was für heldenhafte Gedanken, aber werde ich wirklich den Mut haben, sie umzusetzen?
    Die Soldaten in meiner Zelle sind stärker bewaffnet als gewöhnlich, außerdem tragen sie Gasmasken und Schutzwesten. Keiner wagt es, mich aus den Augen zu lassen. Sie fürchten wirklich, ich könnte irgendetwas Verrücktes unternehmen. Ich starre in die Sicherheitskameras und stelle mir die Menschenmenge auf dem Platz vor.
    »Ihr Typen könnt euch wahrscheinlich gar nichts Tolleres vorstellen ...«, sage ich nach einer Weile. Die Soldaten bewegen sich unruhig, einige heben ihre Waffen. »... als einen ganzen Tag eures Lebens damit zu verschwenden, mich in einer Zelle hocken zu sehen. Muss wirklich unfassbar spannend sein.«
    Schweigen. Die Soldaten haben zu viel Angst, um mir zu antworten.
    Ich denke an die Menschen da draußen. Was machen sie wohl? Ein paar von ihnen haben vermutlich Mitleid mit mir und würden noch immer für mich protestieren. Vielleicht tun einige von ihnen das auch, aber sie können nicht so entschlossen sein wie beim letzten Mal, sonst würde ich sie vom Monitor auf dem Gang hören. Viele werden mich hassen. Wahrscheinlich applaudieren sie gerade. Und wieder andere hat bloß die morbide Sensationslust hierhergetrieben.
    Die Stunden verrinnen. Mir wird bewusst, dass ich anfange, mich auf die Hinrichtung zu freuen. Wenigstens bekomme ich dann mal wieder etwas anderes zu sehen als die grauen Wände meiner Zelle, wenn auch nur kurz. Hauptsache, diese nervenzehrende Warterei hat bald ein Ende. Außerdem - für den Fall, dass June keinen Erfolg hat mit dem, was auch immer sie plant - kann ich dann endlich aufhören, ständig an John und meine Mutter und Tess und Eden und wen sonst noch alles zu denken.
    Die Soldaten in meiner Zelle kommen und gehen. Ich weiß, dass es bis siebzehn Uhr nicht mehr lange sein kann. Wahrscheinlich ist der Vorplatz jetzt bis zum Bersten mit Menschen gefüllt. Tess. Vielleicht ist sie auch da und hat genauso viel Angst, es mit anzusehen, wie es zu verpassen.
    Schritte im Flur. Dann eine Stimme, die ich erkenne. June. Ich hebe den Kopf und blicke zur Tür. Ist es jetzt so weit? Zeit zu fliehen - oder zu sterben?
    Die Tür geht auf. Meine Bewacher machen Platz, als June in voller Uniform die Zelle betritt, gefolgt von Commander Jameson und ein paar anderen Soldaten. Bei Junes Anblick schnappe ich nach Luft. Ich habe sie noch nie in solcher Kleidung gesehen. Üppig glänzende Epauletten, deren Fransen ihr bis auf die Oberarme hängen. Ein dicker, bodenlanger Umhang aus einer Art hochwertigem Samt. Scharlachrotes Wams und aufwendig gearbeitete, schnallenbesetzte Stiefel. Passende Uniformmütze. Ihr Gesicht ist schlicht geschminkt und das Haar zu einem makellosen Pferdeschwanz gebunden. Das muss der übliche Dresscode für besondere Ereignisse sein.
    June bleibt ein Stück von mir entfernt stehen und wirft einen Blick auf ihre Uhr, während ich mich auf die Füße kämpfe. »Sechzehn Uhr fünfundvierzig«, sagt sie. Dann wendet sie sich mir zu. Ich versuche, in ihren Augen zu
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