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Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Titel: Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Völler
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auszuspucken, man musste sich auf minutenlange Wartezeiten einstellen.
    Auf dem Weg ins Bad stieß ich mit dem Fuß gegen die Schüssel, die ich am Vorabend aufgestellt hatte. Eisiges Wasser platschte bis zu meinen Knien hoch, ich schrie auf und hüpfte fluchend auf einem Bein herum. Die Schüssel war voll, oder genauer: Sie war voll gewesen , bevor ich dagegengetreten hatte. Die Wetterfrösche hatten recht gehabt. Es hatte geregnet. Und zwar durchs Dach. Genau an derselben Stelle wie beim letzten Mal. Da seither niemand das Loch geflickt hatte, war es nur eine Frage der Zeit gewesen, dass es wieder passierte.
    Während ich mit nassen Füßen zum Bad tappte, schwang im Flur wie von Geisterhand ein Fenster auf. Der Wind drückte es nach innen, weil es nicht mehr richtig schloss. Der Griff war kaputt, seit … vier Wochen ungefähr. Ich hatte den exakten Zeitpunkt vergessen, aber er fiel in etwa zusammen mit dem ersten Klopfen. Das Klopfen kam aus dem Badezimmer, wahrscheinlich aus den Leitungen. Oder aus dem Boiler. So genau wollte ich es gar nicht wissen.
    Merkwürdig war dabei nur, dass alles auf einmal zu kommen schien. Sonst war immer alles nach und nach passiert, hübsch der Reihe nach, gerade in so großen Abständen, dass man sich daran gewöhnen konnte. Das lockere Geländer, die losen Bodendielen. Zuerst ein bisschen lästig, dann aber irgendwie, na ja, charmant. Alte Häuser sind halt so. Die haben ihre kleinen Verschleißerscheinungen. Da bröckelt schon mal der Putz, da klopfen die Leitungen, da knarren die Türen.
    Die knarrten übrigens ganz schrecklich. Timo war der Meinung, wir hätten Geister im Haus, die nichts anderes zu tun hätten, als den ganzen Tag die Türen knarren zu lassen. Er war davon überzeugt, dass diese Geister in den Türangeln wohnten. Neulich hatte er ganz ernsthaft von den »Geistern in der Tür« gesprochen, und er hatte sehr ängstlich dabei ausgesehen. Ich hatte ihm das Knarren erklärt und es sogar vorgeführt (»Siehst du, jetzt mache ich die Tür auf, und sie knarrt. Und nun mache ich sie zu, und sie knarrt noch mal – das liegt an dem alten Holz. Es ist krumm geworden, daher kommt das!«), doch er blieb dabei, dass Geister ihre Hände im Spiel hatten. Ich hatte die Angeln geölt, aber das hatte die Geister leider nicht beeindruckt.
    Im Bad stieg ich in die Duschkabine und drängte mich dicht an die Wand, als ich das Wasser andrehte. Das Klopfen wurde lauter, es verwandelte sich in ein Hämmern. Das Wasser rauschte, meist dauerte es eine Weile, bis es heiß wurde. Doch diesmal wurde es nicht einmal lauwarm. Irgendetwas im System hatte endgültig versagt. Es war so weit. Das Haus brach zusammen, der Albtraum hatte prophetischen Charakter gehabt. Leonardo hatte mich gewarnt, doch ich hatte nicht hören wollen.
    Ich fing an zu weinen, weil mir der Fuß von der blöden Schüssel wehtat. Und weil das Wasser nicht warm wurde. Und weil alles so furchtbar war.
    Mit Todesverachtung duschte ich mich kalt ab, auch das Gesicht, damit ich nachher beim Frühstück nicht verheult aussah. Nicht, dass die Kinder sonderlich darauf achteten, wie ich aussah. Aber wenn es mir so richtig mies ging, merkten sie es merkwürdigerweise sofort. Dafür hatten sie eingebaute Antennen.
    An diesem Tag half auch das kalte Wasser im Gesicht nicht viel. Als ich aus der Duschkabine stieg, flossen die Tränen immer noch. So konnte es nicht weitergehen! Wie sollten wir ohne warmes Wasser auskommen? Wie lange wollte ich noch tatenlos den rieselnden Putz, die tropfenden Löcher im Dach, die kaputte Dusche ertragen? Den Kindern schien es nicht viel auszumachen, man konnte schon fast sagen, dass sie es gar nicht anders kannten (obwohl Sophie und Benedikt die kaputte Dusche garantiert nicht auf Dauer dulden würden!), und allein diese Tatsache machte alles noch viel schlimmer. Wie konnte ich meiner Familie das nur zumuten? Wie hatte ich es so weit kommen lassen können? Wie konnte ich länger hinnehmen, dass mein geliebtes Zuhause derartig herunterkam?
    Na schön, ich hatte kein Geld für die nötigen Reparaturen. Aber war das ein Argument? Nein!
    Schließlich lebten wir im Zeitalter der Immobilienblasen. Die ganze Welt drehte sich um Grundstückskredite; Hypotheken waren quasi ein Must-have . Ich ging bloß mit der Zeit, wenn ich mir auch eine zulegte.
    Ich musste an meinen Albtraum mit Leonardo denken, an Phönix aus der Asche. Der Traum war ein Zeichen, ganz klar. Er hatte mir sagen wollen: Handle, bevor es zu
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