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Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)

Titel: Leg dich nicht mit Mutti an: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Völler
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selbst so genial komisch, dass er manchmal schon anfing zu grinsen, wenn er mich nur sah.
    An diesem Morgen auch wieder. Kichernd kam er an meinen Schreibtisch. »Wie kann man eine Blondine stundenlang beschäftigen?«
    Ich sagte nichts, denn ich würde es gleich erfahren.
    »Hahaha«, lachte Jens. Er riss den Mund so weit auf, dass man sein Gaumensegel flattern sah. »Man gibt ihr einen Zettel, bei dem auf beiden Seiten dasselbe steht, und jetzt rat mal, was! Bitte umdrehen! Hahaha! Bitte umdrehen!«
    Hinter mir schepperte es gewaltig, und ich war so dämlich, mich tatsächlich umzudrehen, woraufhin Jens fast vor Lachen zusammenbrach. Zu spät bemerkte ich, dass er den Krach inszeniert hatte. Er hatte Niklas angestiftet, etwas fallen zu lassen, möglichst mit viel Radau. In dem Fall handelte es sich um die Blechgießkanne, mit der Niklas immer die Pflanzen gießen musste. Als Praktikant konnte er sich seine Aufgaben in diesem Büro leider nicht aussuchen. Er duckte sich unter meinem vorwurfsvollen Blick, aber sein gequältes Grinsen dauerte eine Spur zu lange. Der Witz hatte ihm gefallen, darauf hätte ich wetten können. Katja, meine Kollegin zwei Schreibtische weiter, verdrehte entnervt die Augen. Sie hatte mehr Glück als ich, sie war brünett. Die übrigen Kollegen warfen Jens ebenfalls böse Blicke zu, die meisten fanden seine Art genauso nervtötend wie ich.
    Betont gleichmütig setzte ich mich an meinen Schreibtisch. »Irrtum«, sagte ich, während ich so tat, als würde ich meine Termine prüfen. »Es steht nicht auf beiden Seiten dasselbe.«
    »Äh, was?«, fragte Jens. Sein irritierter Gesichtsausdruck entschädigte mich nur ein kleines bisschen, aber es war besser als nichts.
    »Du weißt schon«, sagte ich. »Nicht dasselbe , sondern höchstens das Gleiche. Der typische dämliche Anfängerfehler.«
    Ich stellte mich auf ein paar ätzende Bemerkungen ein, aber in diesem Moment klingelte sein Handy. Er drehte mir einfach den Rücken zu und tat geschäftig, wobei Niklas den Lückenbüßer geben durfte.
    »Bring Annabell mal die Unterlagen«, befahl Jens ihm, bevor er mit dem Handy am Ohr zurück in sein Büro marschierte.
    Die Unterlagen bestanden aus einem eng bekritzelten Klebezettel, den Niklas mir kurz darauf kommentarlos auf den Schreibtisch pappte. Es stand zwar nicht Bitte umdrehen darauf, aber das war auch schon das einzig Gute, was man darüber sagen konnte.
    Jens’ Schrift war nur mühsam zu entziffern, aber im Laufe der Jahre hatte ich es gelernt. Mach mal was mit armen alleinerziehenden Müttern! , stand dort, und darunter, verziert mit einem dümmlichen Smiley: Keine Ferkeleien, Du sollst nur über sie schreiben, schließlich hast Du ja authentische Erfahrungen aus erster Hand! Ganzseitig. Auftrag vom Chef!
    Mit Chef meinte er ausnahmsweise nicht sich selbst, sondern Herrn Huber, den Verleger und Hauptgeschäftsführer, dem auch Anteile an der Zeitung gehörten. Er mischte sich nur selten thematisch in die redaktionellen Belange ein, aber wenn er es tat, erwartete er, dass man seine Sache richtig gut machte. Bis zur nächsten Redaktionssitzung musste ich ein gescheites Konzept haben.
    Ganzseitig! Ich holte aufgeregt Luft. Endlich wieder einmal ein größerer Artikel! Einer, an dem man länger lesen konnte als nur für die Dauer von zwei Schlucken Kaffee und einem Bissen vom Frühstücksbrot!
    Ich hatte Herrn Huber im Laufe der letzten Jahre nur ganz selten gesehen, einmal bei einem Firmenjubiläum, ein anderes Mal bei der Verabschiedung des alten Chefredakteurs. Herr Huber war um die sechzig, fast kahl und hatte wie Gorbatschow ein großes Feuermal auf der Stirn, und das war so ziemlich das einzige Private, was die Mitarbeiter der Zeitung von ihm wussten. Außerdem galt er als kompetenter, kühl kalkulierender Verleger, der alle Fäden fest in der Hand hielt und immer genau über alles informiert war.
    Ich nahm den Zettel und ging in Jens’ Büro. Es stank nach Zigarettenqualm, das Fenster stand sperrangelweit offen. Im Gebäude durfte nicht geraucht werden, aber Jens tat es trotzdem.
    Er warf die Kippe aus dem Fenster und sah mich scheinheilig an. »Na, schon fertig mit Zettelumdrehen?«
    »Was genau ist mit arm gemeint?«, wollte ich wissen.
    Er hob die Brauen. »Warte … Was für Arme gibt es denn so?« Er fing an aufzuzählen. »Unterarme, Oberarme, Arme Ritter …«
    »Vergiss nicht den Armleuchter«, unterbrach ich ihn. »Ich kann auch Herrn Huber anrufen und ihn fragen, wenn du es
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