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Leberkäsweckle

Leberkäsweckle

Titel: Leberkäsweckle
Autoren: Bernd Weiler
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ausgesprochen mühsam begonnen. Es war Frühherbst, und wie es diese Jahreszeit so mit sich bringt, fielen halt die Blätter. Nun wohnte Gerda, alleinstehend, in einem geerbten Mehrfamilienhaus ganz in der Nähe des Rathauses. Und vor diesem Haus stand eine Reihe von Sommerlinden, die alljährlich herbstens für einen Blätterfall sorgten, der es in sich hatte. So auch heute Morgen. Kaum war Gerda vor die Tür getreten, sah sie den Herbst, ihr zu Füßen liegend. Keine Frage, da musste der Besen her und wenigstens das Trottoir noch freigemacht werden, damit die Leute gefahrfrei gehen konnten. Das erledigt, kam sie entsprechend schnaufend im Rathaus an.
    Es folgte die übliche morgendliche Prozedur, die, so könnte man meinen, auch in einer Verordnung oder einem Gesetz gefasst sein könnte. Gerda Schickle erreichte ihren Arbeitsplatz, setzte sich, schaltete den Computer ein, stellte dann fest, dass noch kein Kaffee gemacht war, stand auf, setzte Kaffee auf. Auf dem Rückweg zu ihrem Arbeitsplatz bemerkte sie, dass die Topfpflanzen dringend gegossen, aber eigentlich auch umgetopft werden mussten. War der Kaffee fertig, gesellten sich Kollegen und Kolleginnen zu Gerda, und man besprach das Wichtigste, heute also die Situation der Topfpflanzen. Worauf sich zwei Kollegen kurzzeitig von ihrem Arbeitsplatz entfernten, um beim hiesigen Baumarkt Töpfe und Blumenerde kaufen zu gehen. Zwei Kolleginnen erklärten sich bereit, für das anschließende Umtopfen ein unerlässliches Vesper beim hiesigen Großmetzger zu besorgen, und schließlich machte sich ein Kollege auf den Weg, die notwendigen Arbeitsgeräte sowie Gartenhandschuhe zu organisieren. Damit hatte Gerda Schickle in wenigen Minuten mit nur einem Thema, das nun nicht unbedingt zu den ersten Bürgeranliegen zählte, das halbe Rathaus römisch eins lahmgelegt.
    Bürgermeister Hans Bremer bemerkte davon nichts. Die Abwesenheit seiner Sekretärin fiel ihm nicht auf; er tätigte keinen Telefonanruf, der durchzustellen gewesen wäre, es gab kein Diktat, das die Frau Schickle gebraucht hätte. Die Amtsgeschäfte zeigten sich überschaubar. Ihm graute nur vor den Wochenenden. Ein Gefühl, das ihm wahrscheinlich Tausende von Bürgermeistern in mittleren und kleineren Ortschaften ganz gut nachfühlen konnten. Denn sein Terminplan reihte ein Highlight an das andere. Freitagnachmittag: Eröffnung der Kaninchenzuchtausstellung, Freitagabend: fröhlicher Heimatabend der Skizunft, Samstagvormittag: Frühschoppen bei der hiesigen Freien Wählerschaft, Samstagmittag: Spanferkelessen bei den Senioren des Tennisvereins und schließlich, Samstagabend: Der Albverein lädt zum Tanz. Da würde er wieder einmal allein hingehen müssen, denn seine Frau hielt sich bei solcherlei Anlässen dezent zurück, und, er musste es sich eingestehen, er konnte es ihr auch nicht verdenken.
    Allerdings hatte ihm ihr Verhalten erst den Weg zu Elfriede ermöglicht. Das musste er ihr wiederum hoch anrechnen. So konnte er neben seiner Ehe und seinen Amtsgeschäften ein wenig der fleischlichen Lust frönen. Die Frau des Elektromeisters war willig, und er fühlte sich wie neugeboren. Das bürgerliche Pfenningen wäre entsetzt, wenn die Affäre jemals herauskommen würde. Aber sie hatten ihre Techniken entwickelt und Wege gefunden, diese für ihn so reizvolle Liaison zumindest halbwegs sicher zu leben. Allerdings so gut wie nie an einem Werktagabend. Die heutigen Aussichten waren für ihn also eher gedämpft.
    Pfarrer Leonhard hingegen war eher in freudiger Erwartung, was den heutigen Tag anging. Am Vormittag stand nur noch eine Besprechung zum Thema Heizung an, dann konnte er mit einem entspannten Nachmittag den Tag ausklingen lassen.
    Er war etwas früh dran, als er an diesem Morgen die Christuskirche betrat, aber er brauchte diese wenigen Minuten für sich, um noch einmal darüber nachzudenken über das mit der Kirche und der Heizung eben. Als er durch die große Eichentür den Vorraum der Kirche betrat, dachte er sich noch nichts. Und doch war etwas anders. So ruhig war ihm die Kirche noch nie vorgekommen. Kein Laut und keine Menschen. Eine unheimliche Totenstille.
    Die Morgensonne schien nur spärlich in den hohen Kirchenbau. Zu sehen war nichts oder doch, dort vorne, eine kniende Gestalt. Sie kniete ruhig und andächtig, bewegte sich überhaupt nicht. Sie kniete auch nicht, sie hing eigentlich mehr über der Kirchenbank, völlig reglos.
    Vielleicht regte sie sich auch gar nie mehr. Pfarrer Leonhard eilte aus
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