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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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niemand wegnehmen würde, obwohl Reggie Dr. Hunter nur einen Samtschal schenkte. Es war ein hübscher Schal von Jenner’s, für den sie ihr letztes Geld zusammengekratzt hatte.
    Jackson Brodie hatte darauf bestanden, ihr einen Scheck über einen wesentlich höheren Betrag auszustellen, als sie ihm geliehen hatte, obschon sie protestierte: »Nein, nein, das müssen Sie nicht«, aber als sie zur Bank ging und ihn einlösen wollte, sagte die Bank, sie müssten ihn »zurückverweisen«, was laut Mr. Hussain bedeutete, dass er geplatzt war und Jackson Brodie kein Geld hatte, obgleich er behauptet hatte, reich zu sein. Da sah man mal wieder, man glaubte, jemanden zu kennen, und er war jemand anders. Dennoch gehörte er noch immer ihr, aber sie war nicht mehr sicher, ob sie ihn noch wollte.
    Reggie wohnte jetzt hier. »Bis du was anderes findest«, sagte Dr. Hunter, »aber natürlich kannst du auch für immer hierbleiben. Das wäre nett, oder?«
    Sie sprachen nicht wirklich darüber, was passiert war. Manche Dinge ließ man am besten auf sich beruhen. So sprachen sie zum Beispiel niemals darüber, mit wessen Blut Dr. Hunter und das Baby beschmiert waren. Jackson ließ Reggie nicht ins Haus gehen (Trau dich ja nicht), deswegen wusste sie nicht, wer darin war und was passiert war. Etwas Schlimmes offensichtlich. Etwas Nichtwiedergutzumachendes.
    Natürlich las Reggie später in der Evening News von zwei nicht identifizierten Männern, die in einem niedergebrannten Haus gefunden wurden, alles ein großes Rätsel, und ihr ging durch den Kopf, dass jemand, der alles tun würde, um sein Baby zu schützen, jemand war, den die Polizei als Mordverdächtigen in Betracht ziehen würde, aber das tat sie nicht. Und gleichgültig, wie oft Dr. Hunter von der Polizei befragt wurde, sie sagte immer, dass sie herumgewandert war, dass sie unter Amnesie litt, was natürlich verrückt war, aber sie hatten keine andere Wahl, als ihr zu glauben.
    »Was meinst du, ist passiert, Reggie?«, fragte sie Kriminalhauptkommissarin Monroe, und Reggie sagte, »Ich weiß es wirklich nicht«, und das war die Wahrheit, die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
     
    Dr. Hunter trug den Schal den ganzen ersten Weihnachtsfeiertag, sie sagte, es sei der hübscheste Schal, den sie je hatte. Sie tranken Champagner und aßen Gänsebraten und Weihnachtspudding, und das Baby bekam rosa Eis und schlief auf Reggies Knien ein, während sie Die Muppets-Weihnachtsgeschichte sahen, und alles in allem war es das schönste Weihnachten für Reggie, und wenn Mum dabei gewesen wäre, wäre es perfekt gewesen.
    Ms MacDonald wurde kurz vor Weihnachten bestattet. Wachtmeister Wiseman und der indische Polizist kamen zur Trauerfeier, was weit über ihre Dienstpflichten hinausging, wie Reggie fand. Es war eine reguläre christliche Trauerfeier, weil ihre seltsame Religion Bestattungen nicht wirklich vorsah. Die meisten Mitglieder (fünf von acht) ihrer Kirche standen auf und sagten etwas über Entrückung und Trübsal und so weiter, und Reggie stand auf und sagte, »Ms MacDonald war immer gut zu mir« und noch andere Sachen, die etwas schmeichelhafter waren, als Ms MacDonald eigentlich verdiente, aber über Tote soll man nicht schlecht reden außer über Hitler oder den Mann, der Dr. Hunters Familie umgebracht hatte. Niemand erwähnte, dass Ms MacDonald für das Zugunglück von Musselburgh verantwortlich war. Wie es schien, war der Tod eine Absolution für vieles.
    Reggie hatte die Beerdigung gemeinsam mit der Genossenschaft organisiert, genau wie Mums Beerdigung. Sie entschied sich auch für dasselbe Lied, »Bleib bei mir, Herr!«. Sie schaute sich die im Sarg aufgebahrte Ms MacDonald an. Er war mit weißem Satin aus Polyester ausgeschlagen, so dass sie ihre Vorliebe für Synthetik bis in den Tod beibehalten konnte. Der Bestattungsunternehmer der Genossenschaft sagte, »Soll ich dich allein lassen?«, und Reggie nickte traurig und sagte »Ja«, und als er den Raum verlassen hatte, stopfte sie alle kleinen Plastiktütchen mit Heroin, die sie in den geheimen Herzen der Loebs gefunden hatte, zu Ms MacDonald in den Sarg. Ms MacDonald war eine Person, die garantiert durch die Drogen keinen Schaden nehmen würde. Nachdem sie sie aus den verborgenen Herzen der Loebs geholt hatte, bewahrte sie sie in Dr. Hunters Garage hinter den Farbdosen auf, weil dort niemand suchte, wie Dr. Hunter sagte.
    Nicht alle Loebs waren damit gefüllt gewesen, aber viele. Sie hatte die
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