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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich
Autoren: Liza Marklund
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den Korb für Altpapier.
    «Wenn wir David Lindholm als Opfer darstellen und schreiben, dass seine Frau tatverdächtig ist, dann stellen wir sie als Mörderin an den Pranger», sagte der Chefredakteur.
    «Und?», sagte Spiken und blickte verwundert zu seinem Vorgesetzten auf.
    «Sie ist noch nicht einmal festgenommen», erwiderte Schyman.
    «Nur eine Frage der Zeit», sagte Spiken und widmete sich wieder seinem Bildschirm.
    «Außerdem ist es schon überall draußen. Sowohl der
Konkurrenten
als auch der
Tjusiga Morgonblaskan
bringen in ihrer Online-Ausgabe Hetzartikel gegen die Frau.»
    Na wunderbar, dachte Schyman, so viel also zur ethischen Initiative.
    «Kann man um diese Jahreszeit wirklich Apfelsinen kaufen?», fragte er.
    «Sie sind ein bisschen trocken, aber das bin ich ja auch», antwortete Spiken.
    Berit Hamrin trat an den Newsdesk, mit der Handtasche über der Schulter und dem Mantel unterm Arm.
    «Ihre Artikel in der heutigen Ausgabe sind hervorragend», sagte Schyman und versuchte, ein aufmunterndes Gesicht zu machen. «Gibt es schon Reaktionen?»
    Berit blieb vor ihm stehen und nickte zu Spikens Bildschirm hinüber.
    «Julia Lindholm», sagte sie. «Ist das eine bewusste Entscheidung, dass wir sie im Internet als Mörderin aushängen?»
    «Mit ‹wir› meint sie die gesamte Journalistenschaft in Schweden», sagte Spiken.
    «Soweit ich verstanden habe, bringen nur der
Konkurrenten
und der
Morgonblaskan
die Information, dass die Frau tatverdächtig ist», erwiderte Schyman.
    «Wir müssen den Namen der Frau ja nicht nennen», sagte Spiken.
    Die Reporterin trat einen Schritt näher an Schyman heran.
    «Wenn wir David Lindholms Namen bringen und beschreiben, wie er in seinem Bett erschossen wurde, und anschließend behaupten, dass seine Frau des Mordes verdächtigt wird, brauchen wir ihren Namen wirklich nicht mehr zu schreiben. Jeder, der Julia kennt, weiß ohnehin, dass sie gemeint ist.»
    «Wir werden ja wohl noch über spektakuläre Morde berichten dürfen», sagte Spiken beleidigt.
    «Was gerade in unserer Online-Ausgabe steht, würde ich nicht als ‹Bericht› bezeichnen», fuhr Berit fort. «So was nennt man ‹Klatsch›. Die Polizei hat bisher keine dieser Angaben bestätigt. Was wir veröffentlichen, sind also Gerüchte.»
    Anders Schyman sah, wie die Kollegen an den Tischen rundherum die Köpfe hoben, um besser mitzubekommen, was gesagt wurde. War das gut oder schlecht? Waren ethische Diskussionen am Newsdesk ein Zeichen von Stärke, oder würde man ihm das als Schwäche auslegen?
    Er tippte auf Letzteres.
    «Wir setzen diese Diskussion besser in meinem Zimmer fort», unterbrach er mit Bestimmtheit und wies mit der Hand hinüber zu seinem Kämmerchen.
    Zur Antwort zog Berit sich den Mantel an.
    «Ich muss los, ich treffe mich mit einem Informanten», sagte sie.
    Die Reporterin drehte sich um und verschwand Richtung Ausgang zum Parkdeck.
    Schyman merkte, dass seine Hand immer noch auf sein Kabuff hinter der Leserbriefredaktion zeigte.
    «Also, die Meldung über die verdächtige Frau steht schon in unserer Online-Ausgabe?», sagte er an Spiken gewandt und ließ die Hand schwer auf den Schenkel fallen. «Wer hat das entschieden?»
    Spiken sah mit dem Ausdruck gekränkter Unschuld auf.
    «Das weiß
ich
doch nicht.»
    Nein, da hatte er wirklich recht, Papierausgabe und Internetausgabe hatten ihre jeweils eigene Redaktion.
    Anders Schyman machte auf dem Absatz kehrt und ging in seine Kammer.
    Ein Gedanke biss sich fest und kratzte an seinem Ego:
Was mache ich hier eigentlich noch?
    Berit trug acht große Plastiktüten in den Händen.
    «Ich habe versucht, nicht allzu geschlechterrollenkonform zu sein», sagte sie, als sie sich in das enge Zimmer zwängte und die Tüten auf dem Fußboden absetzte. «Hallo, Kalle, hallo, Ellen …»
    Die Kinder sahen für eine Sekunde zu Berit hoch und starrten dann wieder auf den Fernseher. Annika schaltete ihn aus.
    «Schau mal, Kalle», sagte sie. «Was für coole Jeans!»
    «Die sind für Ellen», sagte Berit, setzte sich auf die Bettkante und knöpfte den Mantel auf. «Die Unterwäsche ist in dieser Tüte, und in der anderen habe ich ein paar Wasch-sachen und Zahnbürsten und so was mitgebracht.»
    Die Kinder zogen sich ganz allein an, stumm und ernst. Annika half Ellen, sich die Zähne zu putzen, und fing ihren eigenen Blick im Badezimmerspiegel auf. Die Pupillen waren riesig, füllten fast die gesamte Iris aus, so als sei das Loch in ihrer Brust in ihren Augen
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