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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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der ihm anbefohlenen lakonischen Weise: »Alle Plätze fort – nur englische Familie – abgereist – Loge zurückgesandt.«
    »Aber ich war in meiner Loge nicht allein!«
    »Stockfisch ich! Ein Billett weggeben – an eine Dame, noch nie im Theater gewesen, wollte nicht Freude verderben und zurückfordern.«
    »Und ich habe diese Freude ihr verdorben!« klagte Raphael und schüttelte wehmütig das Haupt, »aber jeder Blick der Menge auf uns peitschte mein Herz wie mit brennenden Nesseln. Auch ziemte es ihr ja nicht, allein bei mir in der Loge zu sitzen.«
    Er blickte nach dem Elendsfell, beträchtlich hatte sich der Zwischenraum bis zur schwarzen Linie vermehrt.
    »Sie liebt mich!« rief er triumphierend, »doch«, fügte er bedenklich hinzu: »ich muß mich hüten, meinen stillen Seufzern Worte zu verleihen. Nein,« fuhr er fort und stampfte mit dem Fuße, »und ist's mein Ende! ich liebe sie und kann nicht anders!«
    Mit sorgenvollen Blicken betrachtete ihn Jonathan.
    »Guter Mensch,« wandte sich Raphael zu ihm, »es ist bald aus mit mir; aber meine letzten Lebenstage vollbringe ich süß, ich bin ausgesöhnt mit dem Leben wie mit dem Tode. Einen Engel nenne ich mein, ein Wesen, den Inbegriff alles Lieben und Guten dieser Welt. Soll ich warten, bis der Zahn der Zeit ihre Reize benagt, bis ein zerstörendes Alter die liebe Glut ihres Herzens erkaltet? Es ist süß, jung und geliebt zu sterben!«
    Dem greisen Diener standen die hellen Tränen im Auge.
    »Mein treuer Diener!« fuhr Raphael fort, »du hast eine schöne Überraschung mir bereitet. Du verstehst mich nicht, das begreife ich wohl, aber du liebst mich, das weiß ich. Hier nimm diesen Ring.«
    Jonathan zögerte, den kostbaren Solitär, den sein Herr ihm bot, anzunehmen.
    »Nimm, Schurke, augenblicklich!« rief Raphael. »Soll ich etwa an dir auch mein Leben verzehren und sterben, weil ich dir, weil ich aller Welt gut bin?«
    Erschrocken leistete Jonathan Gehorsam.
    »Bin ich nicht bei meinem Elendsfell der glücklichste Mensch auf Erden?« fuhr Raphael fort, »wär' es doch nur morgen um zehn Uhr, dann Jonathan – so lange will ich schlafen – dann ist es Zeit aufzustehen, mich anzukleiden und zu ihr zu fahren.«
    Im selben Augenblicke dünkte es Raphael, als riefe Jonathan. »Herr Marquis! Es ist zehn Uhr, Sie müssen aufstehen, sich ankleiden und ausfahren.«
    »Wie komme ich entkleidet ins Bette?« fragte er, »habe ich denn wirklich geschlafen?«
    »Elf Stunden!« antwortete Jonathan; »gestern abend um elf Uhr schlafend mir in die Arme gesunken, entkleidet – zu Bette gebracht – nichts gefühlt – seit sieben Uhr an der Tür gelauscht – immer fest geschlafen!«
    Raphael blickte scheu nach seinem fürchterlichen Talisman und ward sehr ernst.
    In der Rue des Cordiers erregte die prächtige Equipage nicht wenig Aufsehen. Als sie gar vor dem verfallenen Hotel St. Quentin hielt, eilte die ganze Nachbarschaft an Fenster und Türen, die Kinder auf der Straße verließen ihre Spiele und gafften starr den vornehmen jungen Herrn an, der ungeduldig ausstieg und an die morsche Tür pochte.
    Erst als Raphael ins Zimmer getreten war, wo Pauline und ihre Mutter ihn hocherfreut empfingen, fühlte er sich wieder erheitert.
    »Aber, Herr Raphael!« holte die Alte weit aus.
    »Stille, Mutter!« fiel Pauline bittend ihr ins Wort, »du weißt, was du mir versprochen.«
    »Es muß mir vom Herzen« – brach jene in Tränen aus – »es war nicht recht von Ihnen, Herr Raphael, auf solche Art uns zu verlassen! Sie verspotteten meine aufrichtige Teilnahme, doch das vergebe ich Ihnen, denn Sie schienen mir damals sehr unglücklich. Allein Sie sind es nicht mehr, sind ein vornehmer, reicher Herr geworden und kümmerten sich um uns so wenig, daß nur Ihr zufälliges Zusammentreffen gestern mit Paulinen Sie endlich bewog, über Ihr Schicksal uns zu beruhigen. Obschon wir verarmt und in den Augen der Menschen, die nur auf Geld und Titel sehen, erniedrigt sind, hätten wir doch diese zarte Rücksicht von Ihnen erwartet. Übrigens stehen Ihre Möbel oben noch, wie Sie sie verlassen. Nur Pauline hat flugs nach Ihrer Gitarre gegriffen, und trotz meinem ernstlichen Verbot sie als ihr Eigentum behauptet. Sie widersprach mir stets, wenn ich sagte: Sie hätten sich entleibt; sie meinte, daß Sie einer so gottlosen Tat – vergeben Sie, Herr Raphael! – unfähig wären. Seitdem habe ich das Zimmer nicht wieder vermietet. Glauben Sie nur, ich hätte gern mein bißchen Armut mit
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