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leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)

leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)

Titel: leben, sterben, tanzen, leiden (German Edition)
Autoren: Kevin Haring-Sedler
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hatte er gemerkt, dass er durch sein passives Verhalten in einer Männerbeziehung zwangläufig den weiblichen Part übernommen hatte : k o chen, putzen und den Arsch hi n halten . Selbst sein Arsch kam ihm von Jahr zu Jahr weiblicher vor . Daraufhin hatte er sofort mit seinem Freund Schluss gemacht, denn Franz glaubte, dass se i ne Männlichkeit das E inzige war, was er von zuhause mitb e kommen hatte (er war geboren und aufgewachsen in Leibnitz , recht südlich, beinahe slowenisch ) , den Rest hatte er sich hart erarbe i tet. Und diesen einzig(artig)en Teil, den er aus seiner Sicht von seinen Eltern vererbt beko m men hatte, wollte er be wahrt wissen . Und um diesen ve r bliebenen Teil zu stärken , wurde Franz zum Marathonläufer. Durch ein High-Intensitiy-Training und der speziellen E r nährungsform war er jedes Mal unter den besten Z ehn , wenn er einen Marathon in Österreich lief. Ansonsten kon n te man nicht viel über Franz sagen. Er war Stationsleiter im LKH Graz für die geriatrische Abte i lung und hatte dort nicht sehr viele Freu n de. N icht weil er so schüchtern war (oder gar zu wenig männlich) , sondern weil er als Vorgesetzter ein Arschloch war. Franz glaubte außerdem , seinem niveaulo sen Verhalten und dem übe r heblichen Getue entsprechend , dass je jemand auf die Idee käme, ihn als schwul zu bezeichnen!
    Vor Franz und Ian, i n der ersten Reihe , saß nur eine Pe r son, die wusste – schon im Vorfeld –, dass sie al leine sitzen würde. Christiane Altholt , die dicke Frau, die niemand haben wollte. Chri s tiane hatte in vierundfünfzig Jahren, die sie auf der Erde verweilte , so ziemlich alle Diäten durc h probiert, die der Markt zuließ . Doch ihr eigentliches Prob lem, das sich weniger in ihrem Essve r halten spiegelte , sondern vielmehr in ihrem Kopf, hatte sie nicht versucht zu ändern oder mit einer Diät aufzuarbeiten . – Eine Diät zu machen, hieß letztlich auch etwas über sich und über seinen Körper in Erfa h rung zu bringen .
    „Das Zentrum ist sehr leicht zu Fuß zu erkunden, nur für Museen weiter außerhalb benötigt man öffentliche Verkehrsmittel …“
    Christiane also. In jungen Jahren war sie eine bildhübsche Frau gewesen , die ihre Schönheit in der Ehe verlor. Ihr Ehemann vertraute ihr noch vor der Geburt des dritten Kindes an, dass er sich eher dem männlichen Geschlecht zugetan fühlte als dem weiblichen. In einer mündlichen Vereinbarung, dies schien ihr damals die beste Entscheidung, hatte sie ihrem Ehemann verspr o chen, die Scheinehefrau perfekt zu spielen, wenn sie nur verheiratet blieben. Ihr Eh e mann, ein reicher und aufstrebender Arzt war zu diesem Kompromiss bereit, spielte doch Angst eine w e sentliche Rolle, nämlich seinen guten Ruf zu wahren . Sie kassierte das Geld er das Ansehen. Sie hatte einen Packt auf Lebenszeiten geschlossen, der sich in ihren Augen widerspiegelte . Ihre Kompensation war das Essen geworden . Fressanfälle um genau zu sein. Wo früher noch ein schlanker Köper ihre Erscheinung zierte, waren heute Fettschichten um Po, Taille und Obe r schenkel ang e wachsen. S eit rund zwei Jahren betrieb sie mit einer immensen Akribie Nordic Walking und Fahrradfahren, um eventuell doch noch einen dritten Frühling anzupeilen, der ihr marodes Liebesleb en wieder intakt bringen sollte. – A lles half nichts, sie blieb fett . Sie wus s te auch, dass sie ihre n schwulen Ehemann nicht zur Heterosexualität zwingen konnte. Schon kurz nach Beendigung der letzten Beziehung (zu einem seltsamen Tierliebhaber) lernte er auch schon wi e der jemand Neues kennen, der auch noch um gut fünfundzwanzig Jahre jünger war als sie selbst. Bei einer Scheidung , das hatte sie ihm oft genug angedroht , als er mit dem jungen Ding lein a n kam, würde sie sich umbringen – und die Kinder samt ungeborener Enkelkinder gleich mit . Auch das stellte ke i ne neue Nachricht aus den vergangenen fünfunddreißig Jahren dar, seitdem er offen mit ihr über seine Neigung sprach . D iese s Drohen hatte sie in den Jahren der Einsamkeit, um ihre Weiblichkeit nicht vollkommen zu verlieren und immer noch als seine Eh e frau genannt zu werden , deutlich gelernt und immer wieder in die Pr a xis umgesetzt. Ihr Ehemann, der Doktor , nahm diese Drohungen sehr ernst . Chris t iane wusste dies nur zu genau, hatte er schon Geschwi s ter durch einen Selbstmord verloren, so wollte er diese Geschichte nicht wiederholt wissen. A u ßerdem ging sie in der Rolle der putzenden Schw iegermutter
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