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Leben macht Sinn

Leben macht Sinn

Titel: Leben macht Sinn
Autoren: Irmtraud Tarr
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die Schuld zu geben, aber es nützt nicht viel und kostet wertvolle Zeit, weil es die emotionale Qual nur verlängert und die Verarbeitung des Geschehens hinausschiebt.
    Ich erinnere mich an die Worte einer Freundin, die im letzten Jahr an einer Krebserkrankung gestorben ist: »Ich glaube, ich habe eine Antwort auf die leidige Warum-Frage gefunden. Sie heißt: ›Warum gerade ich nicht?‹ ›Warum soll ich nicht fähig sein hinzunehmen, was tagtäglich immer wieder Menschen geschieht?‹ ›Warum sollte ich es nicht schaffen, anzunehmen, dass ich wie so viele in der ganzen Welt an Krebs sterben werde?‹ Ich bin es leid zu fragen: ›Was habe ich falsch gemacht?‹ oder ›Was habe ich getan, dass es ausgerechnet mir passiert?‹« Das ist eineAntwort, die nicht in der Ebene der äußeren Verursachung stecken bleibt, die nicht davon ausgeht, dass man Leid vermeiden könnte, indem man alles richtig macht. Es zeugt von Weisheit, wenn jemand sagen kann: »Warum nicht ich?« Denn diese Frage öffnet ein Tor zur Zukunft. Man kann seine Kräfte auf ein Leben unter neuen Vorzeichen konzentrieren. Und man kann zur konstruktiven Frage gelangen: Was kann ich, da mir solches widerfahren ist, jetzt tun? Ich denke in diesem Zusammenhang an die Theologin Dorothee Sölle, die in ihrem Buch »Leiden« die Auffassung vertritt, dass »die wichtigste Frage in der Erörterung des Leidens lautet, wem es letzten Endes dient«. Also nicht: »Warum ist es geschehen?«, sondern »Wohin führt es?«, »Welchen Sinn macht es?«

»Folge deiner Seligkeit«
    Brächte ich sämtliche therapeutische Erfahrungen, wonach Menschen suchen, auf einen Punkt, so ist es nicht der große Sinn des Lebens, sondern die Erfahrung des Lebendigseins. Die Erfahrung, dass es ein inneres Nachschwingen dessen gibt, was ich erlebe und tue. Menschen wollen tatsächlich empfinden, dass sie lebendig sind. Sie wollen Sinn am eigenen Leib erfahren.
    Eine prägnante Formel dafür lieferte Campbell: »Folge deiner Seligkeit.« Er ging davon aus, dass wir uns zu sehr von den Diktaten unserer Eltern und Kultur verbiegen lassen und je nach Erwartungen, denen wir entsprechen müssen oder möchten, uns selbst dabei abhanden kommen. Das Wort »Seligkeit« klingt vielleicht für manche nach Kirchensprache, irgendwie altertümelnd oder gar nach Geldsegen. Als Seelenexperte meint er aber eher das »Abenteuer der Seele«, nämlich das Leben zu leben, das in einem selbst angelegt ist. Er meint die Erfahrung, aus dem ureigenen Erfahrungspotential zu leben; etwas zu leben, das nicht von jemand anderem erlebt werden kann. Persönlich bin ich eher geneigt zu sagen: »Folge deiner Stärke« oder noch besser: »Folge deiner Leidenschaft.«
    Stärke und Leidenschaft sind das, was uns aufruft und anfeuert. Eine innere Aufforderung, die uns anspornt: »Gib dein Bestes! Geh’ in deine Kraft!« Jeder, der sich schöpferisch betätigt, weiß, wie hart diese Arbeit ist, mit wie viel Leid sie verbunden ist, aber auch wie intensiv, befriedigend und berauschend solch ein Prozess sein kann, der einem diese innere Weite des Lebendigseins schenkt.
    Nicht nur kreatives Tun lebt von Leidenschaft. Spätestens um die Lebensmitte sind wir eingeladen, unsere Stärken und Leidenschaften zu finden. Was macht mich lebendig, was verbindet mich tief mit diesem meinem Leben? Man muss schon ein paar Jährchen gelebt haben, um solche Fragen zu stellen, denn sie führen zur Selbsterkundung: Wer bin ich, was will ich, was kann ich? Es geht nicht mehr darum, möglichst viel zu verschlingen und anzuhäufen, sondern um den Sinn für Grenzen, Konturen, für Vertiefung und sorgfältige Begegnung mit sich selbst. Die Energien, die vorher gebunden waren durch Anpassungsbereitschaft, werden nun frei für eine neue Offenheit und Durchlässigkeit für das Wesentliche. Die Bündelung der Kräfte, das Wissen um Nicht-Gelungenes, Nicht-Erreichtes, Erlittenes und Selbstverschuldetes, beides sind Voraussetzungen für ein Mehr an Intensität. Denn genau so hat es die Natur in uns angelegt: Was wir tun, kann uns nur dann glücklich machen, wenn wir einen Sinn darin erkennen.
    Darum lohnt es sich, einen Standort zu suchen, zu dem man immer wieder zurückkehren kann: die eigene Stärke. Statt sich mit den eigenen Schwächen zu plagen, sie wegzutrainieren oder therapieren zu wollen, geht es nun um die Frage: Wo liegt meine Kraft? Die Welt ist voll mit Menschen, die aufgehört haben, auf sich selbst zu hören, die nur auf andere,
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