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Leben im Käfig (German Edition)

Leben im Käfig (German Edition)

Titel: Leben im Käfig (German Edition)
Autoren: Raik Thorstad
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sich dagegen, doch in der letzten Zeit fürchtete er vermehrt den Tag, an dem ihm selbst seine eigenen vier Wände keine Sicherheit mehr bieten würden. Was dann aus ihm werden sollte, war ihm schleierhaft. Ernsthaft Gedanken darüber machen wollte er sich jedoch auch nicht. Da steckte er lieber den Kopf in den Sand und gab den Vogel Strauß.
    Nun macht schon , mahnte Andreas seine unwilligen Füße, die sich weigerten, den letzten Absatz der Treppe zu nehmen und in den Flur zu treten.
    Warum sollten wir? , wisperte sein innerer Schweinehund in seinem Hinterkopf. Draußen ist es nicht sicher. Du musst nicht schwimmen gehen. Es ist nicht nötig, dass du dich in Gefahr bringst. Es ist dumm, für nichts und wieder nichts Risiken einzugehen.
    Nein, nötig war es nicht. Aber Andreas wollte gerne.
    Allein beim Gedanken an das kühle Wasser lief ihm ein angenehmer Schauer über den Rücken. Er liebte es, sich zu bewegen. Die Einzelhaft in seinem Kopf und seinem Zimmer führte dazu, dass er nur zwei Gefühlszustände kannte. Entweder er war rastlos und suchte verzweifelt nach einem Weg, seine überschüssige Energie loszuwerden oder er hing stundenlang bewegungslos auf seinem Bett oder vor seinem Computer; zu faul, um auch nur auf die Toilette zu gehen oder sich etwas zu trinken holen. Dazwischen gab es nichts.
    In diesem Moment brannte der Hunger nach körperlicher Bewegung in seinen Adern. Tief atmete Andreas durch, stellte sich den Geruch des Grases draußen vor, das Gefühl von Sonne und Wind auf seinem Gesicht. Diese Vorstellung gab ihm etwas Kraft.
    Entschlossen zerrte er an dem Band seiner schwarzen Badeshorts und strich sich die störenden Haare aus dem Gesicht. Dann übersprang er die letzten Stufen und durchquerte den Flur.
    Im steril eingerichteten Wohnzimmer angekommen schob er seine Zweifel in den hintersten Winkel seines Bewusstseins und machte sich an der Terrassentür zu schaffen, bevor die Angst die Chance hatte, von ihm Besitz zu ergreifen.
    Der Temperaturunterschied war enorm. Kaum, dass Andreas die ersten Schritte auf den rauen Sandstein der Terrasse tat, spürte er die Hitze über seine nackten Fußsohlen züngeln. Ein schwerer Duft stieg ihm in die Nase, halb heißer Asphalt, halb der süßliche Duft der Zierrosen, die in ihren Beeten traurig die Köpfe hängen ließen.
    Automatisch sah er zu den fast mannshohen Hecken hinüber, die das Anwesen in Richtung der benachbarten Grundstücke abgrenzten. Mit dem Haus in seinem Rücken konnte er durch einen mageren Baumbestand in einiger Entfernung den Elbstrand erkennen. Mit Sicherheit tummelten sich dort bei diesem Wetter viele Sonnenanbeter, aber damit musste er sich glücklicherweise nicht auseinandersetzen. Sein Ziel war der nierenförmige Pool in der Mitte des Gartens.
    Mit den besten Absichten betrat Andreas die gepflegte Rasenfläche. Die ersten Meter bewältigte er problemlos, doch kaum, dass er den Schatten der Villa verließ, spürte er die Schwäche in seinen Beinen. Seine Knie wurden weich, fühlten sich an, als würden sie ihm jeden Moment den Dienst versagen.
    Was habe ich erwartet, murrte Andreas innerlich. Die allgegenwärtige Frustration, die ihm mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war, drohte ihn zu verschlingen.
    Warum tat er sich das hier an? Um eine Runde im Pool zu planschen? Er war doch kein Kind mehr, verflucht. Außerdem würde es ihm keinen Spaß machen. Das wusste er jetzt schon. Er würde sich die ganze Zeit über schlecht fühlen und am Ende im Wasser einen Krampf bekommen. Er könnte jetzt oben sein und sich mit dem neuen Computerspiel auseinandersetzen, das am Morgen geliefert worden war.
    Aber nein, er musste sich ja etwas beweisen, bei dem Versuch scheitern und sich hinterher fragen, warum er lebensunfähig war. Sein Dasein im Gefängnis war doch angenehm, solange er nicht wie ein Idiot gegen die Mauern rannte und sich eine blutige Nase holte. Warum also? Wofür? Für wen?
    Bis Andreas die weiß geflieste Umrandung des Pools erreichte, hatte die Angst sein Denken übernommen. Über Jahre erlernte Mechanismen griffen nach ihm und ließen es nicht zu, dass er etwas anderes empfand, als das was die Angst ihm vorgab. Der Wunsch zu schwimmen, sich zu bewegen, frische Luft zu schnappen schmolz ersatzlos dahin und ließ nichts zurück außer der vagen Frage, warum er überhaupt nach draußen gegangen war.
    Die Antwort fand er in dem Gespräch mit seiner Mutter vor einer Stunde. Sie hatte ihn motiviert, alte Sehnsüchte
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